Festival in Cannes: Goldene Palmen und Depardieus Wampe

Cannes · Am Sonntag vergibt das Filmfestival in Cannes seine Preise. Klare Favoriten gibt es nicht. Könnte Michael Caine mit 82 Jahren und dem Film „Youth“ einen Darstellerpreis gewinnen?

Ein Skandal war nicht in Sicht. Nicht einmal eine hitzige Debatte. Immerhin Regisseur Gaspar Noe bemühte sich. Der Argentinier provozierte zuvor mit dröhnenden Kinoattacken wie dem Vergewaltigungsdrama "Irreversible". Auch bei seinem neuen Werk "Love" standen die Zeichen auf Erhitzung der Festivalgemüter. Der Film hangelt sich von Sex zu Sex , variantenreich in Stellungs- und Ortswechseln, und erzählt nebenbei von einem Paar, dessen Beziehung durch ein Dreier-Experiment aus der Bahn gerät. Schön gefilmt ist das, und es gibt einen Samenerguss in 3D. Aber ein Skandal? Wohl kaum, auch weil längst Werke wie "Intimacy" und "9 Songs" Vorreiter beim Ausloten des Expliziten waren. So wirkt das Werk recht schlaff, jenseits des Sex ist es nur ein raunendes Herumphilosophieren über das Leben, die Liebe und den Tod.

Einen klaren Favoriten gibt es nicht, es haben sich gleich einige Anwärter auf die Goldene Palme herauskristalliert. Viele Kritiker sehen Yorgos Lanthimos' einfallsreiche Single-Liebe-Dystopie "The Lobster" vorn. Mit Todd Haynes' "Carol", einem Liebesdrama zwischen zwei Frauen, hingegen empfiehlt sich der atemberaubend schönste Wettbewerbsbeitrag für eine Auszeichnung. Womöglich ist diesmal aber auch Paolo Sorrentino an der Reihe. Zwei Jahre, nachdem der Italiener für "Die große Schönheit" den Oscar erhielt, schickte er nun "Youth" in den Wettbewerb. Mit den beiden umjubelten Hauptdarstellern Michael Caine, 82, und Harvey Keitel , 76, sorgte er darin für ein Kinogipfeltreffen der Schauspielaltmeister. Zwei Männer sinnieren bei ihrem Aufenthalt in einem eleganten Kurhotel in den Schweizer Bergen über die vergangene Zeit, das Leben, die Kunst und den Tod.

Für Caine bedeutet "Youth" eine späte Rückkehr zum Festival. 1966 war er mal hier, damals als Frauenheld "Alfie". "Ich habe damals keinen Preis gewonnen - deshalb bin ich danach nie wieder her gekommen", sagte Caine. Diesmal allerdings dürften die Chancen mit diesem ergreifenden Auftritt recht gut stehen.

Eine ungewöhnliche Schauspielpaarung bot auch "Valley of Love": Gérard Depardieu und Isabelle Huppert spielen ein Elternpaar, das sich auf letzten Wunsch des Sohnes, der sich vor Monaten umgebracht hat, lange nach der Trennung in der Hitze des Death Valley wiedertrifft. Zieht man die spirituell übernatürlichen Elemente ab, bleibt immerhin eine stellenweise amüsante Tragikomödie mit einem Oft-Oben-Ohne-Depardieu und seiner exorbitanten Wampe.

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