,,Surrealismus liegt in Belgien in der Luft“

Der belgische Regisseur Jaco Van Dormael ist mit dem Film „Toto der Held“ bekannt geworden. In seinem neuen, ungemein verspielten Film „Das brandneue Testament“ (ab Donnerstag in der Camera Zwo, Sb) macht er Gott zur Hauptfigur: Gott ist bei ihm ein Sadist, der in Brüssel wohnt. Über ein „Death-Leak“ lässt er den Menschen ihr genaues Todesdatum per SMS zukommen. SZ-Mitarbeiter Martin Schwickert sprach mit Van Dormael.

Wieso wählt Gott in Ihrem Film Brüssel als Amtssitz?

Dormael: Mein Co-Autor Thomas Gunzig und ich leben beide in Brüssel und können uns nicht vorstellen, dass sich überhaupt jemand freiwillig dazu entscheidet, dort zu wohnen. In unserer Version der Genesis hat Gott Brüssel erschaffen, um die Menschen mit aller alttestamentarischer Wucht zu bestrafen.

Wieso ist Gott bei Ihnen so fies?

Dormael: Von Woody Allen gibt es den schönen Satz "Wenn Gott existiert, hoffe ich, dass er eine gute Entschuldigung vorzuweisen hat." Als Kind habe ich mich immer gefragt, warum Batman und Superman die Menschheit retten und Gott mit all seiner Macht immer nur zusieht. Im Alten Testament wird Gott oft auch als eifersüchtiges Wesen dargestellt, der Städte zerstört und Menschen bei lebendigem Leibe verbrennen lässt. In der Bibel geht es viel um Bestrafung. Schon Hitchcock hat gesagt, dass jeder gute Film einen richtigen Bösewicht braucht.

Ihre Heldin ist seine zehnjährige Tochter, die gegen die Willkürherrschaft Gottes rebelliert.

Dormael: In meinem Leben haben Frauen immer eine sehr wichtige Rolle gespielt und ich finde es befremdlich, dass es im Neuen Testament fast nur um Männer geht. In den Apokryphen, den frühchristlichen Schriften, die nicht in den Kanon aufgenommen wurden, sah das noch anders aus. Da wird Maria Magdalena als wortgewandte Geliebte Jesu beschrieben, die in der Schar der Jünger eine herausragende Stellung eingenommen hat. Aber diese Stellen wurden später aus politischen Gründen gestrichen.

Wäre unsere Gesellschaft eine bessere, wenn wir den Tod weniger ausgrenzen würden?

Dormael: Ich bin davon überzeugt, dass die wirkliche Freude am Leben nur im Bewusstsein von dessen Endlichkeit entstehen kann. Wir müssen lernen, den Moment zu genießen. Das spiegelt sich auch in der Erzählstruktur des Films wieder, die nicht zielstrebig auf irgendeine Schlusswendung zuläuft, sondern jede Einstellung als cineastischen Moment feiert.

War es schwer, Catherine Deneuve für einen Film zu gewinnen, in dem sie einen Gorilla liebt?

Dormael: Sie war perfekt für die Rolle dieser unglücklichen Frau, die sich von ihrer bürgerlichen Existenz abwendet. Selbst die Liebesszene, die ihre Figur mit einem jungen Stricher absolviert, war für sie keine Problem. Mein Angebot, das in Unterwäsche zu drehen, hat sie empört zurückgewiesen: "Beim Sex habe ich noch nie einen BH getragen". Catherine Deneuve ist eine furchtlose Schauspielerin.

Warum haben Sie ein Kind zur Heldin und Erzählerin gemacht?

Dormael: Kinder sind Rebellen, selbst wenn sie sich dessen nicht immer bewusst sind. Ich mag ihr ungebrochenes Wesen, ihre surrealen Interpretationen der Welt, die von Erwachsenen oft belächelt werden, obwohl sie unseren rationalen Erklärungsversuchen oft überlegen sind.

Wie finden Sie Ihre vielen Ideen?

Dormael: Ich warte nicht auf Inspiration. Ich setze mich jeden Tag drei Stunden hin und schreibe mindestens drei und nie mehr als zehn Seiten. Mein Lehrer an der Filmschule sagte: "Einen guten Drehbuchautor erkennt man daran, ob seine Hose durchgesessen ist."

Sehen Sie sich eigentlich als surrealistischen Filmemacher?

Dormael: In Belgien vermischt man alles miteinander. Der typisch belgische Stil ist Abwesenheit jeglichen Stils. Wir haben drei Amtssprachen, und die belgische Politik kann sowieso keiner verstehen. Surrealismus liegt in Belgien in der Luft.

Ab Do: Camera Zwo (Sb). Übersicht/Kritiken zu den übrigen anlaufenden Filmen morgen in unserer Beilage treffregion.

Jaco

Van Dormael

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