„Gage war immer Schmerzensgeld“

Siegmund Nimsgern, einer der bedeutendsten Opern- und Konzertsänger des 20. Jahrhunderts, feiert heute seinen 75. Geburtstag. Der Saarländer hatte in der ganzen Welt Erfolge. Von 1983 bis 1986 sang er etwa den Wotan bei den Bayreuther Festspielen, hat sich aber auch um zeitgenössische Komponisten verdient gemacht. SZ-Redakteur Oliver Schwambach sprach mit ihm über sein Leben nach der Bühne und wie er Theater und Kunst heute einschätzt.

 Nimsgern nimmt Wagner auf den Arm: Sonst hat Richard Wagners Haupt (eine Arbeit Arno Brekers, die exakt der Wagner-Büste im Bayreuther Festspielpark gleicht) seinen Platz im häuslichen Wohnzimmer. Foto: Astrid Karger

Nimsgern nimmt Wagner auf den Arm: Sonst hat Richard Wagners Haupt (eine Arbeit Arno Brekers, die exakt der Wagner-Büste im Bayreuther Festspielpark gleicht) seinen Platz im häuslichen Wohnzimmer. Foto: Astrid Karger

Foto: Astrid Karger

Vor zehn Jahren haben Sie sich von der Bühne zurückgezogen: Wie sehr beherrscht die Musik heute noch ihr Denken und Tun?

Nimsgern: Komplett. Auch wenn ich mich jetzt mit meinem Enkelkind beschäftige, kommen mir Stücke in den Sinn, die ich schon ad acta gelegt hatte. Gerade habe ich für das Theater "L' enfant et les sortilèges" (Anm.d. R.: Stück hat am 25. Januar Premiere im Saar-Staatstheater) übersetzt, von Ravel und Colette, weil es nichts Passendes in Deutsch gab. Texte, das Übersetzen aus anderen Sprachen, das treibt mich ungeheuer um, das hat auch mit Musik zu tun. Mein Ehrgeiz war ja auch immer, die Originallautung einer Sprache, wenn es irgendwie geht, im Deutschen nachzuformen. Da habe ich beim "Falstaff" mal für meine Partie das raffinierte Original von Arrigo Boito nachempfunden, als die anderen ihre Partien längst studiert hatten. Aber so etwas fordert mich heraus, auch wenn man mal zwei Tage an einer Phrase sitzt.

Sie wurden ja stets für die Klarheit Ihrer Artikulation gerühmt. Wollten Sie sich so Ihre eigene Sprache in den Mund legen?

Nimsgern: Ich habe ein erotisches Verhältnis zu Sprache. Wenn ich einen Sänger nicht verstehe, kann der so schön singen wie er will, da bin ich nach zwei Minuten weg. Wir haben schließlich als Sänger Semantik zu vermitteln, wir machen ja kein Vokalisen-Ragout, was beim Belcanto zum Teil so ist.

Graust es Sie dann nicht, wenn Sie hören, wie undeutlich heute in der Oper gesungen wird?

Nimsgern: Manchmal ist das bloß noch "Erkennen Sie die Melodie?". Das passt dann auch zu den Regie-Untaten: wenn irgendwas erzählt wird, was weder zur Musik noch zum Libretto passt. Heute ist das überall eingerissen. Da gibt es keine Inszenierung mehr, wo man mal sagen könnte: Das war toll.

Da kann man auch anderer Ansicht sein…

Nimsgern: Natürlich, aber was Sie schon alles großartig fanden in jüngster Zeit, das fand ich sowas von besch…eiden. Beim aktuellen "Holländer", da geht der Holländer an die Senta ran und besteigt sie: unsäglich.

Den "Holländer" fand ich in der Regie auch nicht genial. Aber davon mal abgesehen: Können Sie in der Oper , im Konzert einfach auch mal genießen?

Nimsgern: Doch, natürlich, ich brauche nur die ersten Takte des "Parsifal" zu hören, dann bin ich berührt. Die Partie des Amfortas erschüttert mich zutiefst. Wenn man solche Partien so oft gesungen hat wie ich, dann sind die Stücke wie mein Fleisch und Blut.

Ist es dann nicht grausam, wenn man all das plötzlich nicht mehr hat: den Gang auf die Bühne, das Orchester, das Publikum, den Applaus?

Nimsgern: Ich leide immer noch darunter, jeden Tag.

Wie bekämpfen Sie den Entzug?

Nimsgern: Schreiben, übersetzen, denken…

In Ihrem Gedichtband "Rampenfieber" liest man erstaunlich wenig vom Glanz Ihrer Auftritte, umso mehr von Problemen mit der Stimme, von echten und empfundenen Krisen.

Nimsgern: Das ist ja auch keine Autobiographie, sondern die Suada eines Lyrikers.

Aber Sie sprechen doch von sich…

Nimsgern: Ja, aber das kann im Grunde nur ein Sänger wirklich nachempfinden.

Geht es nicht auch darum, zu vermitteln: Große Kunst entsteht aus großem Leiden?

Nimsgern: Daraus entsteht sie ja auch. Gage war für mich immer Schmerzensgeld für erlittenes Leid. Diese ewige Reiserei, diese Proben mit Regisseuren, die keine Ahnung haben, die sich von den Fachleuten, die das kennen und können, also uns Sängern, das Stück sechs Wochen lang vorspielen lassen, bis sie wissen, wie es ausgeht, und wer gewinnt.

Warum haben Sie eigentlich nie selbst Regie geführt?

Nimsgern: Man hat mich nie gefragt.

Ihr Sohn Frank ist Komponist, Sie Sänger: Wer ist der wahre Künstler, der Schöpfer oder der Interpret?

Nimsgern: Da gibt es ja dieses Briefzitat von Wagner an Liszt, wo er schreibt: Was sind wir Komponisten doch für arme Leute, sinngemäß zumindest. Erst die Darsteller, die Sänger erwecken unsere Musik zum Leben. Er möchte am liebsten Sänger sein. Das trage ich manchmal bei mir, das zeige ich gern meinem Sohn.

Ihr Name ist als Sänger eng verbunden mit Richard Wagner ...

Nimsgern: Leider.

Weshalb leider?

Nimsgern: Ich habe ja viel mehr Bach gesungen als Wagner. Und es gibt kaum etwas, was nicht durch meinen Hals gegangen ist - von uralt bis ganz neu. Aber wenn man mal in Bayreuth reüssiert hat, dann wird man irgendwie auch abgestempelt. Dass in Chicago, an der Scala Amerikas, die Kritiker, die wirklich viele Vergleichsmöglichkeiten haben, geschrieben haben, "der beste Scarpia seit Tito Gobbi", ein Deutscher! Wer weiß das schon?

Für den "Jahrhundert-Ring" (1976-80) in Bayreuth von Patrice Chéreau kamen Sie ein bisschen zu spät. Wurmt einen das, wenn man den Höhepunkt seiner Karriere in Bayreuth kurz danach hatte?

Nimsgern: Da habe ich damals gar nicht darüber nachgedacht. Ich fand den Chéreau-Ring in Teilen auch ungenießbar, immer noch - mit dem Waldvogel im Käfig etc...

Auf der Bühne kommt man den Kollegen ja auch sehr nah…

Nimsgern: Ich hatte mal eine Fricka, die ich als Sängerin sehr schätzte, die konnte nur singen, wenn Sie jede Menge Knoblauch gegessen hatte. Ich habe dann die Regie so geändert, dass ich mir die Kollegin im zweiten Akt der "Walküre" mit dem Speer vom Leib hielt. Es gab Leute, die betrachteten das als genialen Regiestreich, von wegen überlanger Phallus. Blödsinn, das war reine Selbstverteidigung.

Sie verschlingen Bücher, schreiben Aphorismen, Lyrik, Satirisches: Wäre Schriftsteller eine Alternative zum Sänger gewesen?

Nimsgern: Nein, ich kokettiere gerne damit, dass ich sage, ich bin den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, und der war das Singen.

 Siegmund Nimsgern in Bayreuth. Foto: marchiori

Siegmund Nimsgern in Bayreuth. Foto: marchiori

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Zur PersonSiegmund Nimsgern studierte an der Saarbrücker Musikhochschule Gesang und Schulmusik. Sein Operndebüt gab der gebürtige St. Wendeler 1967 am Saarbrücker Theater . Es folgten Stationen an der Deutschen Oper am Rhein (Duisburg/Düsseldorf). Rasch entwickelte sich seine internationale Karriere. Der Bassbariton, der etliche Auszeichnungen erhielt, darunter 1987 den Grammy für eine "Lohengrin"-Produktion, sang an der Mailänder Scala, der Met in New York, der Pariser Oper , der Wiener Staatsoper und der Covent Garden Opera in London. Von 1983 bis 1987 war er als Wotan im Bayreuther "Ring" (Georg Solti , Peter Hall, Peter Schneider ) verpflichtet. Nicht minder bedeutend ist Nimsgerns Schaffen als Konzertsänger. Zudem hatte er Gastprofessuren an der Saarbrücker Musikhochschule und am Mozarteum Salzburg inne. oli

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