„Ich war auch nicht immer Grand Cru“

Am Samstag, 20 Uhr, gastiert der Dirigent und Spezialist für historische Aufführungspraxis Reinhard Goebel mit der Deutschen Radio Philharmonie in Dillingen – mit einem außerordentlichen Programm. Es rückt Beethovens zeitgenössische Komponistenkollegen in den Blick, die heute aber fast vergessen sind. Höhepunkt: Das seit fast 200 Jahren nicht mehr gespielte Violinkonzert Franz Joseph Clements. SZ-Redakteur Oliver Schwambach sprach mit Goebel über die Lust an Wiederentdeckungen und den Frust über immergleiche Klassikprogramme.

 Herzerfrischend direkt in Wort und Dirigat: Reinhard Goebel, der heute in der Dillinger Stadthalle zu Gast ist. Foto: Christina Bleier/DRP

Herzerfrischend direkt in Wort und Dirigat: Reinhard Goebel, der heute in der Dillinger Stadthalle zu Gast ist. Foto: Christina Bleier/DRP

Foto: Christina Bleier/DRP

Am Salzburger Mozarteum sind Sie als Professor für historische Aufführungspraxis Nachfolger von Nikolaus Harnoncourt . Beide wurden Sie von den Klassikern anfangs belächelt, auch angefeindet. Mittlerweile haben Sie wie Harnoncourt die Berliner Philharmoniker und andere große Orchester dirigiert. Haben die Alte-Musik-Spezialisten wie einst die 68er den Marsch durch die Institutionen geschafft?

Goebel: Ja, ein wenig ist das so. Aber man sollte nicht zu viele Parallelen zwischen einzelnen Biografien ziehen. Herr Harnoncourt hat das vor mir gemacht, und Herr Harnoncourt ist sogar bis zu "Porgy and Bess" vorgestoßen. Ich jedenfalls werde mich vor der Verlockung durch das Geld hüten. Deswegen gehören für mich diese Ausflüge ins 19. oder 20. Jahrhundert nicht dazu.

Gibt es da auch eine Art von Genugtuung, dass die Sinfonieorchester nun auch bei Ihnen in die Lehre gehen wollen?

Goebel: Ja, wir haben aber ja auch alle gut gearbeitet. Es gibt natürlich Dranhänger wie in jedem anderen Beruf auch, Leute die absahnen, was andere gesät haben. Aber, was die Menschen an mir reizt, ist, dass ich mal fabelhaft gegeigt habe und Dinge dahin gestellt habe, die für sich sprechen.

Über Pultstars haben Sie früher quasi nur in Anführungszeichen gesprochen, heute sind Sie selbst einer.

Goebel: Nee, bin ich nicht. Ich bin Teil vom Orchester . Das Orchester spielt, nicht der Pultstar.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit mit einem Orchester von dem, was ein Christian Thielemann macht?

Goebel: Was ich völlig anders mache, ist, dass ich mit total bezeichneten Partien ankomme, sämtliche Stimmen sind durchbezeichnet. Das, was ich an Bewegung, an Effekten aus dem Orchester haben möchte, das kann ich strichtechnisch bezeichnen. Dafür bin ich der Fachmann. Meine Arbeit besteht darin, schon zwei Wochen im Voraus Stimmen zu bezeichnen. Der Herr Thielemann, den ich sehr schätze, und wo es auch umgekehrt Wertschätzung gibt, der stellt sich vor ein Riesenorchester - und da sind Striche bei den Geigen total egal, es ist völlig egal, ob sie mit Aufstrich oder Abstrich anfangen.

Das Clement-Violinkonzert haben Sie selbst aufgestöbert?

Goebel: Na ja, auch da muss man ehrlich sein. Ich will nicht die Verdienste anderer Menschen unter den Teppich kehren. Es ist aber alles da. Sie müssen nur ein Musiklexikon lesen und sich wirklich interessieren. Auf Clement bin ich gestoßen, weil er der Widmungsträger des Beethoven Violinkonzerts gewesen ist. Und dann so etwas, wie das Clement-Violinkonzert d-moll zu entdecken, das raubt mir schier den Atem. Und es reizt mich, Leute dazu zu bringen, Neues einzustudieren, mal nicht von der Stange zu kaufen.

Und diese Faszination verbraucht sich nicht?

Goebel: Aber niemals, also wissen Sie, wenn ich morgens das Radioprogramm der FAZ aufschlage und sehe schon wieder das Brahms-Konzert mit Frank Peter Zimmermann, schon wieder die Sinfonie aus der Neuen Welt, ah, ich gähne dann nur müde. Das ist so eintönig geworden.

Sie sind ein Gegner der formatierten Klassikradios?

Goebel: Oh igittigittt, grauenhaft. Man kann doch nicht im Konzertsaal, auf CD und im Radio überall dasselbe machen. Wir brauchen nichts Formatiertes. Wir brauchen Neues, Neues, Neues. Dafür haben wir ja auch unsere wahnsinnig guten Orchester . Die Rundfunkorchester sind in einem fabelhaften Zustand, und es ist genau richtig, dass sie von den Brandenburgischen Konzerten bis zur Moderne alles bedienen müssen - und die wollen auch neue Herausforderungen

Niemals 19. Jahrhundert haben Sie immer gesagt, mit dem Programm "Beethovens Welt" heute kommen Sie aber ins 19. Jahrhundert.

Goebel: Na so ein bisschen. Aber ich will Ihnen gerne sagen, warum ich nicht ins 19. Jahrhundert will. Die Musik ist im 19. Jahrhundert so in die Breite gegangen und mit der Befreiung des Individuums so persönlich geworden, dass es keinen Galeazzi (Anm. der Redaktion: Francesco Galeazzi war ein italienischer Musiktheoretiker des 18. Jahrhunderts) mehr gibt, an dem man sich orientieren könnte. Für mich bleibt das 18. Jahrhundert die Domäne, weil man so wahnsinnig viel darüber lesen kann und auch so viel Klares. Danach aber wollte jeder individuell sein. Und damit kann ich nicht umgehen, dann müsste ich mich ja in all diese Persönlichkeiten vertiefen.

Das Ende der Musica Antiqua Köln liegt jetzt fast zehn Jahre zurück, damals klang in Interviews bei Ihnen viel Verbitterung durch. Wie schauen Sie jetzt darauf?

Goebel: Gut, sicherlich gab es anfangs Verbitterung. Das ist die Verbitterung, die außer einer Frau Mutter keinem jungen Künstler erspart bleibt: Nächstes Jahr haben wir wieder eine neue Geigerin, eine neue Pianistin. Und wenn sie keine Wölfe hat, tritt sie wenigstens barfuß auf. So war das bei uns eigentlich auch. Teilweise habe ich mich sehr verkannt gefühlt, weil alles Neue besser war, in den Himmel gelobt wurde. Und ich war auch von meiner Plattenfirma enttäuscht. Ich war ein begeisterter Deutscher-Grammophon-Künstler. Doch dann ging es plötzlich in Richtung blanker Kommerz. Es war keine Sorgfalt mehr da, keine Betreuung. Sicher gab es zum Ende der Musica Antiqua noch andere Probleme, und ich war ja auch nicht immer Grand Cru. Es kam halt vieles zusammen.

Zum Thema:

Auf einen BlickDas Konzert der Deutschen Radio Philharmonie heute, 25. April, 20 Uhr, in der Dillinger Stadthalle mit Reinhard Goebel ist Teil des Festivals "Tage Alter Musik im Saarland" (Tamis). Vor dem Konzert, 19.15 Uhr, gibt es ein einführendes Gespräch mit Goebel und Beate Früh (SR). Auf dem Programm stehen Werke von Von Eybler, Clement, Wranitzky und Beethoven. Am Sonntag, 26. April, 17 Uhr, lädt die Evangelische Chorgemeinschaft im Rahmen von Tamis zu Bachs Oster- und Himmelfahrts-Oratorium in die Saarbrücker Ludwigskirche ein; Leitung: Georg Grün.Am Sonntagabend, 26. April, 20 Uhr, sind in der Alten Kirche St. Johann in Saarbrücken Bühnentänze des Barock zu sehen. Es spielt das Saarländische Barockensemble. Das Musikfestival Tamis läuft noch bis einschließlich 5. Mai. olialte-musik-saarland.de

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Zur PersonReinhard Goebel, Jahrgang 1952, selbst ein exquisiter Geiger, hat mit seinem Ensemble Musica Antiqua Köln über drei Jahrzehnte die historische Aufführungspraxis maßgeblich geprägt und befördert. 2006 löste sich das Ensemble auf. Seitdem dirigiert Goebel, darunter auch Sinfonieorchester wie die Berliner Philharmoniker , und ist einer der führenden Experten für Musik des 18. Jahrhunderts. Seit 2010 lehrt er historische Aufführungspraxis am Salzburger Mozarteum. oli

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