Stereotypen in Endlosschleife?

Die Pariser Attentate und ihre Folgen werden überall diskutiert und bereits mit der Flüchtlingspolitik kurzgeschlossen. Umso mehr stellt sich die Frage nach der Rolle der Medien bei der Aufarbeitung der Ursachen all dessen. Der Medienwissenschaftler Kai Hafez, Professor für Kommunikationswissenschaft in Erfurt, forscht seit Jahren über das Islambild in deutschen Medien. Zuletzt veröffentlichte er mit Sabrina Schmidt das Buch „Die Wahrnehmung des Islam in Deutschland“ (Bertelsmann Stiftung). SZ-Redakteur Christoph Schreiner sprach mit ihm.

Ihre wissenschaftlichen Befunde sind niederschmetternd: Demnach mangelt es deutschen Medien nicht nur an differenzierter Berichterstattung, auch Stereotypen und mitunter gar eine Islamophobie kennzeichneten das Islambild. Sie erklären dies mit mangelnder Sachkenntnis, aber auch mit der Pflege von Vorurteilen. Bestärken sich Medien und Leser in ihren Stereotypen?

Hafez: Das tun sie leider. Auf Medienseite ist ein Grund die begrenzte Platzkapazität, die man mit einer sehr selektiven Medienagenda füllt. Es werden oft nicht dezidiert verbale Stereotypen formuliert; es ist eher so, dass wir nur die negativen Facetten der islamischen Welt beachten. Etwa Gewalt oder Frauendiskriminierung.

Sie sprechen von einer thematischen Selektion im Umgang mit islamisch Gläubigen. In vielerlei Hinsicht spiele der Islam heute die Rolle, die das Judentum vor dem Holocaust gespielt habe. Eine steile These.

Hafez: Antisemitismus- und Islamophobieforscher sind sich heute weitgehend einig, dass es eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen der modernen Islamfeindlichkeit und der traditionellen Judenfeindschaft im 19. Jahrhundert gibt. Muslime werden genauso wie früher Juden als soziale Gefahr betrachtet. Das hat damit zu tun, dass beide Anhänger der anderen monotheistischen Religion sind, deren Identität auch bei dauern der Einwanderung erkennbar bleibt, im Gegensatz zu ethnischen Einwanderungen wie etwa der von Polen im 19. Jahrhundert, wo die Assimilation die Regel war.

Inwieweit reichen diese Vorbehalte in die frühe Neuzeit zurück, als das Gegensatzpaar Okzident-Orient der Selbstbestätigung der kulturellen Überlegenheit des Westens diente?

Hafez: Es reicht bis ins Mittelalter, im Grunde bis in die Entstehungsgenese des Islams zurück. Das Muster ist stets das gleiche: Die Mehrheit pflegt ihre Stereotype über die islamische Welt und folgt damit grundlegenden Machtströmungen. Seit den Kreuzzügen ging es immer um einen Schlagabtausch zwischen muslimischen und christlichen Reichen. Das hat sehr stark das Mehrheitsbild geprägt. Luther, Zeitgenosse der türkischen Belagerung Wiens, war nicht nur Antisemit, er verfolgte auch islamfeindliche Thesen. Zugleich gab es immer auch ein Minderheitenbild in Europa, das einen ganz anderen Zugang zum Nahen Osten und zur islamischen Welt hatte. Unterhalb der kulturkämpferischen Matrix existiert bis heute eine für die Öffentlichkeit fast nicht sichtbare Vernetzung zwischen dialogoffenen Eliten, die mit dazu beiträgt, dass uns alles bislang nicht um die Ohren fliegt. Die Migration fördert diese Vernetzung im Übrigen erheblich.

Sie beklagen, dass zweifelhafte Experten das heutige Islambild prägen - etwa der frühere FAZ-Journalist und Bestsellerautor Udo Ulfkotte , der Ex-Politiker Thilo Sarrazin oder der kürzlich verstorbene Peter Scholl-Latour, dem zwei Historiker des Orientalischen Seminars der Uni Hamburg in einem Buch latenten Rassismus vorwarfen. Worauf gründen sich diese Vorwürfe mangelnder Sachkenntnis?

Hafez: Der Islam hat im Westen 1400 Jahre lang eine überwiegend schlechte Presse gehabt. Eine Journalistin der "Washington Post" hat mal geschrieben, wir seien heute nicht viel weiter als Kolumbus, der meinte, Indien entdeckt zu haben, aber Amerika fand. Wir sind in vielerlei Hinsicht völlig desorientiert, was die Konfliktlagen dieser Welt angeht. Vor ungefähr 100 Jahren haben westliche Kolonialmächte mit einem Völkerbundmandat den Irak und Syrien geschaffen. Die Staaten, die heute aus dem Ruder laufen, wurden damals von England und Frankreich selbst kreiert - mit willkürlich gezogenen Grenzen und zusammengewürfelten Volksgruppen und Religionsgemeinschaften. Das weiß aber heute kaum noch jemand. Pseudo-Experten nutzen dieses Unwissen aus und bedienen die vereinfachende Logik der Medien. In der Wissenschaft finden diese Autoren keinerlei Anerkennung, weil es ihnen an einer soliden empirischen Basis fehlt. Die Wissenschaft selbst findet in den Medien selten Gehör, weil sie als zu komplex gilt. Unser Interview verdanken wir gewissermaßen den Pariser Terroristen.

Hat die von Ihnen skizzierte Wechselwirkung von Medien und Bevölkerung mit mangelnder persönlicher Erfahrung im Umgang mit Muslimen zu tun?

Hafez: Ja, die wissenschaftlich anerkannte Kontakthypothese besagt, dass bei dauern dem persönlichen Kontakt Stereotype abgebaut werden. Es gibt aber auch ein Versagen der Schulen und Universitäten. Wir brauchen eine global ausgerichtete Bildung. Nicht nur in Spezialfächern wie der Orientalistik, sondern auch in den allgemeinbildenden Fächern.

Im aktuellen politischen Diskurs pflegt man ein martialisches Vokabular. Frankreichs Präsident hat von Krieg gesprochen, FAZ-Mitherausgeber Kohler sieht die westliche Welt bereits in einem "Weltkrieg". Solche Rhetorik hat mit Ursachenbekämpfung wenig zu tun.

Hafez: Diese rhetorische Martialität ist ein Abwehrreflex: Wer durch Gewalt bedroht ist, neigt nicht zu Reflektion. Als eigentlich aufgeklärte Gesellschaft verbieten wir uns die Warum-Frage. Die Entstehungsbedingungen des Terrors liegen auch in der westlichen Macht- und Interessenpolitik im Nahen Osten. Die Fragen, die nach Nine Eleven kurz gestellt gestellt wurde, müssen wir nochmal neu stellen: "Why do they hate us?" (Warum hassen sie uns?) lautete damals ein Slogan. Da fällt einem die lange Geschichte des Kolonialismus ein, unsere Kooperationen mit Diktaturen, das ganze Spiel um Öl und Waffen, die zögerliche Unterstützung für die Demokratisierung des Arabischen Frühlings.

Sind die Muslime durch die negativen Konnotationen unserer Islambilder zu sehr in die Defensive geraten, sodass es ihnen schwer fällt, Selbstbewusstsein zu entwickeln und mehr soziale Partizipation einzufordern und auch selbst zu suchen?

Hafez: Viele Muslime versuchen den Weg der Assimilation zu gehen. Für viele ist das ein Spagat. Denn die kulturelle Staatsbürgerschaft, von der wir in der Literatur sprechen, wird den Einwanderern nicht unbedingt mit in die Hand gegeben.

Sehen Sie keine Versäumnisse auf Seiten der Muslime?

Hafez: Pauschal lässt sich das nicht sagen. Alle verfügbaren Indikatoren zeigen kein so negatives Bild: Weder sind junge Muslime statistisch extremistischer, noch fehlt es ihnen an Medienteilhabe. Sie konsumieren genauso deutsche Medien wie alle anderen. Migrationsforscher sagen fast durch die Bank, dass die Einwanderung der Muslime, von bestimmten sozialen Verwerfungen und Bildungsdefiziten abgesehen, eher eine Erfolgsgeschichte ist. Das immer wieder kolportierte negative Islambild ist ein Zerrbild der wesentlich friedlicheren multikulturellen Gesellschaft.

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