Schützenhilfe vom Bakterien-Killer

Antibiotika sind keine Erfindung der modernen Medizin. Bakterien nutzen ähnliche Substanzen seit undenklichen Zeiten, um ihresgleichen zu vernichten. Saarbrücker Pharmazeuten zapfen nun das Arsenal der Biowaffen der Mikrobenwelt an, um neue Wirkstoffe gegen hochgefährliche, multiresistente Krankenhauskeime zu entwickeln.

 Das Bakterium Staphylococcus aureus (rot gefärbt) gehört zu den gefährlichen Krankenhauskeimen. Die Erreger auf diesem Foto messen einen Mikrometer (tausenstel Millimeter). Foto: Rohde/HZI

Das Bakterium Staphylococcus aureus (rot gefärbt) gehört zu den gefährlichen Krankenhauskeimen. Die Erreger auf diesem Foto messen einen Mikrometer (tausenstel Millimeter). Foto: Rohde/HZI

Foto: Rohde/HZI

Saarbrücken. Was sind Myxobakterien? - Es ist keine Schande, diese Frage nicht beantworten zu können. Schließlich gab es selbst unter Biologen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nur wenige, die sich für diese nur einige tausendstel Millimeter großen Einzeller interessierten. Die stäbchenförmigen Raub-Bakterien, die sich gern über andere Mikroben hermachen, schienen als Forschungsobjekte von eher geringer Bedeutung. Sie sind kompliziert zu isolieren und zu vermehren.

Forscher, die genauer hinschauten, fanden dann allerdings einige interessante Eigenschaften. Myxobakterien sind mobil. Sie bewegen sich bis zu einem Zentimeter pro Tag mit einer Technik voran, die noch nicht völlig verstanden ist. Myxobakterien können auf biochemischem Weg kommunizieren. Geht ihnen die Nahrung aus, bilden Millionen von ihnen Fruchtkörper, in deren Inneren einige überleben können. Und Myxobakterien haben ein riesiges Gen-Potenzial. Die Einzeller, die im Boden und in verrottendem Holz leben, besitzen etwa ein Drittel der Gene des Menschen. All diese Eigenschaften zusammengenommen haben die Raub-Bakterien nun zu einem Hoffnungsträger der Pharmazie gemacht.

Die Pharma-Branche hat es im 21. Jahrhundert wieder mit längst totgeglaubten Gegnern zu tun - den Infektionskrankheiten . Und in diesem Kampf scheinen die Erreger derzeit im Vorteil. Rund eine halbe Million Patienten, so die Berliner Universitätsklinik Charité, infizieren sich pro Jahr in deutschen Kliniken mit Krankenhauskeimen - bis zu 15 000 Menschen sterben daran, dreimal mehr als im Straßenverkehr ums Leben kommen.

Das liegt unter anderem daran, dass nach langen Jahren des leichtsinnigen Einsatzes von Antibiotika immer mehr Bakterien Widerstandskraft gegen mehrere oder sogar alle Wirkstoffe entwickelt haben. Die Mediziner sprechen von Multiresistenz. Und während die Zahl der widerstandsfähigen Bakterien wächst, ist das Magazin der Medizin praktisch leer. Nachschub ist nicht in Sicht. "Selbst große Pharmafirmen haben derzeit fast nichts Neues gegen multiresistente Erreger im Programm", warnt Professor Rolf Müller.

Der Wissenschaftler der Saar-Universität leitet das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung auf dem Saarbrücker Campus. Er untersucht mit seiner Arbeitsgruppe das riesige biochemische Arsenal, mit dem Myxobakterien ihre Opfer in der Bakterienwelt attackieren, auf medizinisch nutzbare Substanzen. "80 Prozent aller heute genutzten Antibiotika stammen von Naturstoffen ab", erinnert Rolf Müller. Mehrere hundert Substanzen haben die Saarbrücker Forscher bereits unter die Lupe genommen - und nun zwei Wirkstoffe aus der Pharmafabrik der Myxobakterien identifiziert, die in der Lage sind, die besonders gefährlichen multiresistenten Krankenhauskeime zu zerstören.

Die Disciformycine und Cystobactamide erfüllen bereits eine zentrale Voraussetzung für ein künftiges Medikament: Beide Substanzen blockieren den Stoffwechsel der Bakterien, schaden aber menschlichen Zellen nicht. Disciformycin stoppt die Produktion von RNS in der Bakterienzelle, Cysto-bactamide verhindern die Verdoppelung des bakteriellen Erbguts bei der Zellteilung. Letztere Kampfstoffe der Myxobakterien wirken dabei - und das ist selten, so Rolf Müller - sowohl gegen grampositive als auch gramnegative Bakterien. In der Medizin wird mit dieser nach dem dänischen Bakteriologen Hans-Christian Gram (1853-1938) benannten Einordnung zwischen den beiden größten Bakterienfamilien unterschieden, die sich vor allem durch den Aufbau ihrer Hülle unterscheiden. Ein Wirkstoff, der gegen beide Gruppen eingesetzt werden kann, wirkt damit häufig gegen fast alle Bakterien. Da sich beide Substanzen in ihrem molekularen Aufbau vollständig von heutigen Arzneistoffen unterscheiden, ist es außerdem sehr unwahrscheinlich, dass es unter den Erregern, die sie bekämpfen sollen, bereits Resistenzen gibt.

So hoffnungsvoll die ersten Ergebnisse aus den Labors des Saarbrücker Helmholtz-Instituts nun auch klingen mögen - eine schnelle Wende im Kampf gegen gefährliche Infektionskrankheiten versprechen sie leider nicht, warnt Rolf Müller. "Jetzt kommen erst einmal die anderen Disziplinen der Pharmazie zum Zug." Die Wirkstoffe müssen so angepasst werden, dass sie im menschlichen Körper stabil bleiben. Außerdem fehlen noch geeignete Transportmoleküle, die diese Arzneistoffe durch die Blutbahn an einen Infektionsherd schleusen können. Bis zu einem einsatzfähigen Medikament "könnte es selbst unter günstigen Bedingungen bis zum nächsten Jahrzehnt dauern", so Müller. Der Pharmaforscher mahnt deshalb zu mehr Umsicht beim Einsatz von Antibiotika. "Wir müssen endlich realisieren, dass Infektionskrankheiten mit die größten Feinde des Menschen sind."

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HintergrundDie Ribonukleinsäure (RNS) hat in einer Zelle mehrere wichtige Aufgaben. Sie überträgt unter anderem genetische Informationen aus dem Erbgut (Desoxyribonukleinsäure/DNS) zu den sogenannten Ribosomen, wo die Proteine gebildet werden. Die RNS beeinflusst aber auch die Gen-Aktivität selbst und steuert zudem weitere Lebensfunktionen. Es gibt mehrere RNS-Varianten, ihre Funktionen sind noch nicht vollständig geklärt. byl

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