Sturm der Entrüstung im Internet

Saarbrücken · Dass sich unzufriedene Kunden beschweren, ist nichts Neues. Doch durch die Vernetzung bekommt die Internetgemeinde Macht und Öffentlichkeit. Die breite Kritik im Netz zwingt so manches Unternehmen, etwas zu ändern.

. Das Phänomen nennt sich Shitstorm: Laut Duden ein "Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht". Was Kunden nicht passt, wird online angeprangert. Eines der jüngsten Beispiele: Eine Journalistin schleuste sich für eine RTL-Reportage beim Online-Händler Zalando ein und prangerte die schlechten Arbeitsbedingungen an. Bereits während der Ausstrahlung begann die Entrüstung in den Social-Media-Kanälen. Boykottaufrufe und Beschimpfungen pflasterten die Konzernseiten.

Im August war die Entrüstung groß, als das Modeunternehmen Zara in seiner neuen Kollektion ein schwarz-weiß gestreiftes Kinder-Shirt mit gelbem Stern anbot - zu groß war die Ähnlichkeit mit der Kleidung von jüdischen Häftlingen in Konzentrationslagern der Nazis.

Doch nicht jede öffentliche Kritik endet so heftig. "Die meisten wollen schlicht eine Lösung für ein spezielles Problem", erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Mona Folger aus Münster. Sie hat in einer Studie untersucht, warum negative Kommentare geschrieben werden. "Viele suchen inzwischen bewusst den öffentlichen Dialog, anstatt sich im Verborgenen mit Standard-Antworten abspeisen zu lassen."

Tobias Arns vom Branchenverband Bitkom bestätigt ein Umdenken: "Die meisten Firmen sind sich bewusst, dass sie sich nicht mehr verstecken können." Dennoch kommunizieren viele Unternehmen zu wenig im Netz mit ihren Kunden . Ein Fehler, meint Daniel Fürg, der Unternehmen in Kommunikationsfragen berät: "Das Schlimmste ist, nicht auf Kritik zu reagieren, egal wie klein sie ist." Auch Standardantworten können problematisch sein, wie 2011 das Mobilfunkunternehmen O2 erfahren musste: Ein Blogger beschwerte sich über Netzprobleme und erhielt als Antwort, er sei ein "Einzelfall". Sein Online-Aufruf, den er mit "Wir sind Einzelfall" betitelte, bewies das Gegenteil: Tausende meldeten sich, und O2 gelobte Besserung.

Dass das Gruppengefühl verbindet, zeigt auch Mona Folgers Studie: "Vielen ist es wichtig zu wissen, dass sie nicht allen mit ihrem Problem sind."

Doch wie braut sich ein solcher Sturm zusammen? "Das entscheiden die Formulierung, die Schwere des Vorwurfs und nicht zuletzt der Skandalwert", weiß Daniel Fürg. Der Rest sei Zufall. "Richtig groß wird der Sturm, wenn andere Medien teilnehmen", erklärt er. Dabei könne ein Unternehmen auch als Gewinner aus einem Shit-storm hervorgehen, sofern es Kritik annehme, so Fürg. "Kunden , die man gut behandelt, helfen sogar später bei Vorwürfen, doch dieses Potenzial muss man pflegen." Ikea tat im Juni das Gegenteil: Die Bloggerin Jules Yap, die die Möbel der Schwedenkette kreativ umgestaltet, sollte nach acht Jahren die Adresse ihrer Webseite (ikeahackers.net) abgeben, da sie Markenrechte verletzte. "Rein juristisch war das korrekt", betont Fürg. "Aber eine Seite mit vielen Fans direkt anzugreifen, wenn sie sogar kostenlos Werbung macht, ist schlichtweg dumm." Inzwischen hat sich der Möbel-Gigant nach weltweiter Kritik im Netz öffentlich entschuldigt.

Doch jeder Sturm ebbt irgendwann ab. So blieb bei Zalando der Schaden ebenso überschaubar wie bei Amazon im Vorjahr, als eine Reportage über die Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter für Empörung gesorgt hatte. Amazon fuhr danach Rekordumsätze ein. Die Netzgemeinde hatte längst andere Unternehmen ins Visier genommen.

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