Die Bürger werden zum vierten Ensemble

Saarbrücken · Der erste Spielplan des künftigen Saarbrücker Intendanten Bodo Busse setzt eher auf Kontinuität denn auf einen Bruch.

 Ab 10. September läuft die erste Saison des neuen Teams um den designierten Saarbrücker Intendanten Bodo Busse (ganz links): mit seiner neuen Schauspiel-Führungsmannschaft: Thorsten Köhler, Horst Busch, Bettina Bruinier und Luca Pauer. Foto: Oliver Dietze

Ab 10. September läuft die erste Saison des neuen Teams um den designierten Saarbrücker Intendanten Bodo Busse (ganz links): mit seiner neuen Schauspiel-Führungsmannschaft: Thorsten Köhler, Horst Busch, Bettina Bruinier und Luca Pauer. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Mit Statistiken komme man Kultur nicht bei, heißt es. Mitunter sagen Zahlen aber dann doch mehr als tausend wohl gesetzte Worte bei Spielplan-Pressekonferenzen. Vier von 32 Produktionen sind Uraufführungen. Nur zwei Titel in der Oper lassen sich als überraschend bezeichnen: "Gold. Der Fischer und seine Frau" und "Solaris". Damit bewegt sich das Wagnis- und Risikopotenzial des ersten Spielplans des designierten Saarbrücker Staatstheater-Intendanten Bodo Busse im soliden Durchschnitt deutscher Stadt- und Staatstheater. Das Wort Aufbruch lässt sich mit einem solchen Spielplan allerdings schwerlich verbinden. Und obwohl Busse gestern Bertold Brecht zitierte - "O Lust des Beginnens!" - wollte sich der Eindruck einer mitreißenden Vorwärts-Bewegung nicht einstellen.

Gestern also hatte Busse die Medien zu seiner ersten Programm-Vorschau eingeladen. Das Prozedere: wie immer, die Mannschaft freilich größer als sonst, denn der Opernmann Busse hat bekanntlich die Schauspiel-Leitung auf vier Schultern verteilt - viel Team, viel Power, flache Hierarchien waren die Botschaft. Gleich zwei neue Musikdramaturginnen vertraten den abwesenden Generalmusikdirektor Nicholas Milton. Und auch Ballettchef Stijn Celis, der in Endproben steckt, ließ Ballettdramaturg Klaus Kieser sprechen. Der verkündete für die Celis-Sparte die Fortsetzung der Programmlinie. Sein Chef choreographiert ein Handlungsballett ("Dornröschen"), es folgen dann die üblichen mehrteiligen Abende sowie der Tanzensemble-Erprobungs-Abend "Substanz". Es wird der 18. dieser Art sein.

Nein, mit dem Alte-Zöpfe-Abschneiden hat es die Busse-Truppe erst mal nicht. Das Tanzfestival wie auch das Dramatiker-Festival "Primeurs" wird es weiter geben, der Jugendclub wird in "Junges Ensemble" umgetauft, die Alte Feuerwache behält ihr Profil als Schauspielhaus, die von Busse beim Amtsantritt angekündigten Mehr-Sparten-Projekte fehlen. So bietet der Spielplan das übliche Potpourri aus Klassikern und Publikumshits wie "La Boheme", "My fair Lady" oder "Werther", aus zeitgenössischen Autoren (Elfriede Jelinek, Mark Ravenhill) und Spezial-Projekten, sei es das Live-Hörspiel "Winnetou", eine "Reise" zu Carl Philipp Moritz' Roman "Anton Reiser" mit Musik von Rio Reiser oder ein "Grand-Prix"-Liederabend. Generell kommt die Unterhaltung bei Busse nicht zu kurz, jedenfalls sagen das die gestern gehörten munteren Ankündigungen. Wobei in den Ausführungen die Regieteams nicht die Hauptrolle spielten, obwohl neue Handschriften und Bühnen-Ästhetiken für die Zuschauer das wohl aufregendste Potenzial bergen.

Die im progressiven Frankfurter Schauspiel "sozialisierte" Bettina Bruinier steht dafür. Sie selbst inszeniert drei Stücke. Und auch die Sparte4-Chefs Luca Pauer und Thorsten Köhler sind oft an der ersten Regie-Front dabei. Köhler ist zudem Mitglied im Schauspielensemble, das sich, wie auch die Sänger-Riege, radikal verändern wird. Nur vier bekannte Namen finden sich in der Sprechtheater-Sparte wieder: Christiane Motter, Marcel Bausch, Gabriela Krestan, Ali Berber. In der Oper kommen sieben Neue hinzu.

Was lässt sich noch aus der gestrigen Präsentation lesen? Busses Truppe sucht offensichtlich einen eigenen Weg und hat es nicht mit Trends und Moden. Der Spielplan liest sich als klare Absage an das derzeit angesagte Diskurs-Theater, das die Bühnen durch "Labore" in gesellschaftspolitische Kaderschmieden verwandeln will. Stattdessen graben die Saarbrücker Theaterleute laut Schauspieldirektorin Bruinier tiefer, um der Europa-Verdrossenheit und Werte-Verunsicherung auf die Spur zu kommen - ausdrücklich im Dienst der Stärkung der Demokratie, im Kampf gegen Populismus, Nationalismus und Kriegsgewalt. Das Motto: "Freiheit, Gleichheit, Sicherheit". Und weil die Demokratie eine Errungenschaft des Abendlandes ist, weil die Französische Revolution die Ziele "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" hatte, tauchen Werke wie "Iphigenie" oder "Dantons Tod" in der Busse-Liste auf. Wie auch die selten gespielte Rossini-Oper "Guillaume Tell", die Busse als das europäischste Stück überhaupt empfindet: komponiert von einem Italiener nach einem deutschen Drama über einen Schweizer Nationalhelden in französischer Sprache.

Und dann gibt es selbstredend dann doch noch wirklich Neues. Nicht nur das ziemlich minimalistische Logo: Statt pink kommt das SST jetzt eher düster, petrolblaugrün, daher. Zum Haupt-Frische-Faktor und zur Haupt-Ideen-Schmiede hat man offensichtlich die Sparte4 erklärt. Die bekommt ein neues Raumkonzept und zusätzliche, ausgsprochen schräge Formate. Beispiel? Eine interkulturelle Suppenküche und eine Trash-Filmreihe, bei der das Publikum den Frust über den Schund während eines fröhlichen Biergelages ersäufen soll.

Vor allem aber: Saarländer kommen auf die Bühne. Ein Bürgerensemble wird gegründet, das sich das "Vierte Ensemble" nennt und je nach Produktion als "Ensemble des Widerstands" oder "Ensemble der Gläubigen" neben den Profis in Erscheinung tritt. Genügt das, um das saarländische Publikum zu elektrisieren?

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