In der Kunst-Brauerei gegen Weltschmerz

Saarbrücken · Neun Wochen Laufzeit, rund 100 Künstler, 13 Spielorte und ebenso viele Eröffnungsfeiern – so üppig ist diesmal die Landeskunstausstellung. Am Freitag eröffnet die „SaarArt11“ in Burbach.

 Blick in die aw-Halle im ehemaligen Bahnausbesserungswerk. Foto: Kultusministerium

Blick in die aw-Halle im ehemaligen Bahnausbesserungswerk. Foto: Kultusministerium

Foto: Kultusministerium

Ein Gütesiegel wird nicht erteilt. Trotzdem schwebt über den Landeskunstausstellungen eine Art Motto: Kannste wirklich was, biste dabei. Deshalb war früher die Künstler-Auswahl durchaus von Protest umtost, nicht selten stellte man die Existenzberechtigung der gesamten Unternehmung mit in Frage. Alles nur provinzielle Nabelschau, hieß es. Zu viel Altbekanntes, zu viele Verbeugungen vor Lebenswerk und Renommee, zu wenig Wagnis und wildes, junges Blut. Die Internationalisierung des Kunstbetriebes wie auch die die hiesige Kunstszene seit Jahrzehnten vitalisierenden Absolventen der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) lassen solcherart Kritik heute alt aussehen. Heißt es deshalb kurz vor Eröffnung der elften Ausgabe "Still ruht der See"?

Sprechen wir lieber vom Pool, den der Installationskünstler Philipp Neumann in der alten Burbacher Eisenbahner-Lehrwerkstatt aufgebaut hat, die erstmals als Spielort der SaarArt dient. Schwarz gefärbtes Wasser spannt sich, als sei es lackiert und poliert, über einem Bassin, wird zu einem surreal anmutenden düsteren Spiegel der Außenwelt. Eine bestechend minimalistische, zugleich poetische Arbeit über Untiefe und Undurchsichtigkeit und die Metamorphose eines vermeintlich banalen Stoffes.

Nicht alle Arbeiten in Burbach bieten einen solchen Überraschungseffekt. Dafür sind gerade hier zu viele Alt-Meister dabei, von Sigurd Rompza bis zu Lukas Kramer. Generell wird diese erste Station durchpulst von einer Traditionslinie, die zurück geht auf Oskar Holwecks "Grundlehre" an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken: die der Konkreten Kunst.

Am Freitag beginnt der Eröffnungs-Marathon, bei dem bis zum 6. Mai nahezu täglich weitere der insgesamt 13 Stationen fürs Publikum geöffnet werden. Im Vorfeld hat Kuratorin Cornelieke Lagerwaard, Museumschefin in St. Wendel, 200 Künstlergespräche geführt, wie sie sagt. Ist die 2008 entwickelte Neukonzeption unter den Künstlern als ideal akzeptiert, die Auswahl einem einzigen, einem hiesigen Kurator anzuvertrauen? Denn bezahlt wird der Vorteil allerbester Szene-Kenntnisse mit dem Nachteil von Verwobenheiten und Rücksichtnahmen und dem Verzicht auf einen frischen Blick. Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) jedenfalls schien im Vorfeld keinerlei Konzeptänderung für notwendig erachtet zu haben. Ihm geht es, wie er gestern bei einem Pressetermin verkündete, lediglich um eine Bündelung des kreativen Potenzials des Landes. Gleichwohl schien Commerçon den kritischen Diskurs geradezu herbeizitieren zu wollen, als er sinngemäß erklärte, eine Ausstellung, die allen gefalle und jenseits des kritischen Diskurses stattfinde, sei so langweilig, dass man sie nicht bräuchte.

Nun denn, was könnte an dieser ersten Station missfallen? Mehr als ein Drittel aller Teilnehmer sind in der ehemaligen Eisenbahner-Lehrwerkstatt versammelt. Das lose Themen-Banner Konkrete bzw. Abstrakte Kunst hält sie recht gut zusammen. Außenseiter haben es da schwer, etwa die Bildhauerin Isabelle Federkeil. Sie schlägt mit einer Schuh-Installation samt Yvan-Goll-Gedicht das Thema "Lebenswege" an. Was im Umfeld ihrer meist streng formal arbeitenden Kollegen weniger tiefsinnig als treuherzig wirkt. Auch Volker Lehnerts Malerei, die Realitätspartikel hinter gestaffelten farbigen Schleiern versteckt, ist in Burbach ein Fremdkörper - und zugleich eines der größten Vergnügen.

Nicht alle, insbesondere die kargsten und subtilsten Werke nicht, besitzen genügend Widerstandskraft gegen die Saloppheit der Halle, weder Werner Bauers Glas-Licht-Prismen noch Claudia Vogels zarte, feinmaschige Kleinformate. Um Kabinette und viel Hängefläche zu gewinnen, wurde in die riesige Schuhkarton-Kubatur mit Stellwänden eine Art Labyrinth eingezogen, Dachverstrebungen und ein mitgenommener Bodenbelag sorgen zusätzlich für Unruhe. Kurz: Nicht jedem wird diese Präsentation zusagen, mancher wird die edel-perfekte Atmosphäre der Saarbrücker Modernen Galerie vermissen, die, weil im Umbau, als Standort ausfällt.

Doch das Meiste, was Lagerwaard in Burbach zusammen bringt, funktioniert ausgezeichnet. Sogar im Trio: Die Glas-Scherben-Skulptur und die Wandarbeiten des HBK-Professors Ralf Werner nehmen die architektonischen Strukturen von Ursels Kesslers Malerei auf, deren Gelb wiederum in den aufgesplitterten Fassaden des Streetart-Künstlers Daniel Hahn wiederzukehren scheint. Auch die von Stoll/Wachall eingerichtete Hexen-Küche mit Glasphiolen und Hirschgeweihen, in der sie in einem Video Elixiere gegen und für den Weltschmerz herstellen, ist wie gemacht für einen nicht-musealen Ort. Es darf eben auch mal Ulk sein, jenseits des Prädikates künstlerisch besonders wertvoll. Eine, die beides zusammenbringt und dann auch noch eine großartige Ästhetik schafft, ist ausgerechnet eine der sieben Neuzugänge unter den Saarart11-Teilnehmern, Marion Cziba. Die Noch-Studentin lässt vier eigengesteuerte Kleinroboter auf einem Boden-Tableau, das mit Mehl bestreut ist, ihre Zufalls-Kreise zeichnen. Auf grauem Grund bilden sich immer wieder neue, filigranste elfenbeinfarbene Muster. Im Zimmer nebenan zeigt Cziba dann mit einem unfassbar feinen Millimeter-Bleistift-Textur-Bild, dass sie selbst es auch drauf hat, das Akribische und Fleißige und Selbstvergessene.

Ähnliches lässt sich auch von Gregor Hildebrandt sagen, einem der in Berlin lebenden Stars der Szene. Das eher kleinteilig Serielle, das in Burbach viele Arbeiten bestimmt, hat er ins Monumentale getrieben. Sein Werkstoff: leere Kassetten-Hüllen. In Burbach wird daraus ein sechs Meter langes türkis schimmerndes, an der Wand befestigtes "Schwimmbad", einerseits gekachelt, andererseits von flirrenden Wellen durchzogen. Man muss es gesehen haben.

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 Marion Cziba mit ihrem Roboter-Kunstwerk „Tableau Saarart“. Sie ist zum ersten Mal bei einer Landeskunstausstellung mit dabei. Foto: Becker & Bredel

Marion Cziba mit ihrem Roboter-Kunstwerk „Tableau Saarart“. Sie ist zum ersten Mal bei einer Landeskunstausstellung mit dabei. Foto: Becker & Bredel

Foto: Becker & Bredel

Die "SaarArt11" läuft vom 28. April bis 2. Juli an zwölf Standorten und der Saarländischen Galerie in Berlin. Gezeigt wird ein Querschnitt durch die hiesige professionelle Kunst-Szene, 91 Künstler sind vertreten, davon 22 Künstler erstmals. Eröffnung: 28. April, 18 Uhr, aw Hallen (Parzelle 8), Saar-Lor-Lux-Str. 12, 66115 Burbach. Die Schau in der Eisenbahner-Lehrwerkstatt ist geöffnet ab 29.4., Di-So von 10 bis 18 Uhr, aw-Gelände Burbach, Matzenberg 171, 66 115 Saarbrücken. Die SaarArt11 läuft außerdem in Völklingen, Saarlouis, Neunkirchen und Merzig. Überall gibt es freien Eintritt. Das Kultusministerium finanziert die Ausstellung mit 270 000 Euro, 130 000 Euro kommen zusätzlich von Sponsoren. Infos zum Programm (Kurse, Workshops, Führungen) unter www.saarart11.de

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