Seltener Verdi, heiß serviert

Saarbrücken · Die Oper „Simon Boccanegra“ zählt eher zu den Verdi-Raritäten. Wer die musikalisch grandiose Saarbrücker Produktion erlebt, fragt sich nur, warum?

Er läuft und läuft und läuft. Und kommt doch keinen Schritt voran. Sein Leben aber zieht bei diesem Lauf nochmal an ihm vorbei. Ein unentwegtes Déjà-vu. Ausgestellt in Schaukästen, unter weißgleißendem Laborlicht, muss Simon Boccanegra, der Doge, der mächtigste Mann Genuas, Momente seines einstigen Glücks, aber auch des schuldig Werdens, des Scheiterns, wiedersehen. Bitter und bitterer wird die Bilanz, die den längst Machtmatten mehr und mehr niederdrückt.

Bevor der Vorhang am Saarbrücker Theater hochgeht zu Verdis "Simon Boccanegra", rafft uns der junge Regisseur Johannes von Matuschka bereits in einem bannenden Prolog seine Sicht auf dieses funkelnde Polit- und Rachestück. Trickreich doppelt er die Figuren in der Geschichte um den einstigen Freibeuter Boccanegra, der als Mann aus dem Volk im 14. Jahrhundert zum Anführer der Seerepublik Genua aufsteigt. Und, das ist nun keine Opernerfindung mehr, über 100 Leibwächter beschäftigen musste, weil so viele ihm an die Gurgel wollten.

Das Politische jedoch wird bei von Matuschka ziemlich privat. Gewiss, bei Verdi tönt's oft auch patriotisch, schwingt der Risorgimento, die schwere Geburt der Nation Italien mit. Boccanegra mahnt denn auch altersklug, endlich Frieden zu machen zwischen den verfeindeten Italo-Brüdern, den Venezianern und den Genuesen; nur einer der vielen großen Momente für Olafur Sigurdarson, wenn er seinen klangsatten Bariton staatsmännisch strömen lässt.

Doch in der Saarbrücker Produktion gilt's eindeutig dem Persönlichen: wie Menschen, um privat oder im Job Erfolg zu haben - ja so zeitlos kann man das deklinieren -, sich verrennen, verstricken. Blindwütend Falsches Tun. Dafür haben Johannes von Matuschka und sein Ausstattungsteam (Bühne: Ulrich Leitner/Kostüme: Janina Ammon) just in ihrer Schlichtheit ergreifende Bilder erdacht. Ein Exempel bloß: Dass die Oper am Meer spielt, dafür reichen Andeutungen. Rotes Tauwerk, leicht um die Kostüme geschnürt, genügt als treffliches Symbol. Und wirkt sogar ambivalent. Denn Boccanegras große Liebe, Maria, die Patriziertochter, nimmt den roten Faden auch als Strick, um Schluss mit ihrem Lebenskummer zu machen.

Das optisch Pure, die Klarheit der Regie und Dramaturgie (David Greiner) wirken auch als Antidot wider das oft wirr mäandernde Libretto. Über zwei Generationen hinweg springt die Story. In der auch innerfamiliär jeder gegen jeden schafft, gerne auch unter falschen Namen. Boccanegra etwa will Amelia, die Frau, die sich später als seine verloren geglaubte Tochter Maria entpuppt, an einen Mitstreiter verkuppeln, der ihm wiederum ans Leben will. 2000 Folgen "Sturm der Liebe" sind nichts dagegen.

Der fieseste aller Intriganten ist Paolo: Für Boccanegra erst der Königsmacher, später dann sein Mörder. Diese Rolle ist ein gefundenes Fressen für James Bobby, der mit heißem, agilem Tenor seine Ränke sinnt. Gegen den kann Sigurdarson als Doge aber auch mal mit kaltwütigem Bariton dagegenhalten: Was für ein wandlungsfähiger Sänger!

Wie Paolo haben viele mit dem Dogen noch eine Rechnung offen. Und man wundert sich, wie facettenreich Wut tönen kann. Trotz über Jahre zehrendem Rachedurst strahlt Jacopo Fiescos Brass auf seinen Fast-Schwiegersohn immer noch Patrizierwürde aus: Und wer könnte das besser singen als Hiroshi Matsui mit seinem samtig-schwarzen Bass? Ganz anders dagegen Amelias Lieberhaber Adorno, nicht nur ein politischer Feind des Dogen, er wittert in ihm auch einen Nebenbuhler. Und welch' feurigen Furor Adrian Dumitru dafür hat! Ein Tenor, flink wie ein neapolitanischer Messerstecher - so wie er durch seine Partie fegt. Die Frau, um die es dabei geht, Amelia alias Maria, die Tochter Boccanegras, braucht allerdings etwas Zeit. Susanne Braunsteffers druckvoller Sopran wirkt in den Höhen zunächst scharf, auch schier übermächtig für die zarten Momente. Doch mit dem Abend setzt sie die Akzente feiner, gewinnt Format.

Mit Christopher Ward am Dirigentenpult serviert das Staatsorchester die Rache-Oper mitreißend hitzig und tempoforsch. Was feine Gefühlsdosierung keineswegs ausschließt. Wie wunderbar da etwa die Streicher wogen, bevor schicksalhaft das Blech und der Chor die Spannung treiben. Ein Ohrenthriller. Melodisch klingt das zweieinhalb Stunden wie aus einem Guss. Christopher Ward lässt das schon viel mehr nach vollwertigem Musikdrama klingen als "Simone Boccanegra" es im Grunde ist. Doch was in Saarbrücken Orchester, Chor und Sänger schaffen, zeigt auch das, dass nämlich dieser rare Verdi viel, viel öfter auf die Spielpläne muss.

Weitere Aufführungen: 29. April, 7., 14., 19., 21. und 26. Mai. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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Drei gute Gründe für diesen Verdi: 1) Die Musik: "Simon Boccanegra" wird eher selten gespielt. Auch weil die Oper kein typischer Verdi ist. Es fehlen Mitsingchöre à la "Nabucco" und Mitschmetter-Arien wie in "Aida". Dafür gleicht die gesamte Oper einem großen melodischen Fluss, dem das Staatsorchester, Chor und Solisten mit Heißblut aber auch Nuancierungskunst folgen. 2) Die Inszenierung: Regisseur Johannes von Matuschka kümmert sich nicht groß um die Historie, um das Italien des 14. Jahrhunderts, sondern erzählt eine moderne Geschichte in klaren Bildern. 3) Die Solisten: Alle überstrahlend zeigt sich Olafur Sigurdarson in der Titelpartie. Der Bariton hat auch in dieser Verdi-Oper eine Paraderolle gefunden. Leider werden Sigurdarsons Auftritte in Saarbrücken ja bald seltener werden. Doch auch Hiroshi Matsui (Jacopo Fieso), Adrian Dumitru (Adorno) und James Bobby (Paolo) glänzen in ihren Partien.

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