Ein gesprayter & gemalter Kessel Buntes

Völklingen · Am Sonntag öffnet die UrbanArt Biennale in Völklingen. Eine empfehlenswerte Schau trotz mancher Tiefen.

Bis heute zehrt die Street Art von ihrem Ruf, subversiv, unangepasst, hochpolitisch zu sein. Zwar mögen diese Zuschreibungen weiterhin auf viele nicht-etablierte Spraykünstler passen. Die arrivierte Szene, soweit sie im Kunstbetrieb Fuß gefasst hat, ist hingegen längst ins Stadium ihrer Verbürgerlichung eingetreten. Nicht nur, dass die Versicherungssummen einzelner Werke, die ab diesem Sonntag bei der vierten UrbanArt Biennale im Völklinger Weltkulturerbe zu sehen sein werden, in die Millionenhöhe gehen. Man stellt heute auch ganz klassisch Auftragskunst her. Mehrere Arbeiten entstanden eigens für die Ausstellung, wie Kurator Frank Krämer nicht ohne Stolz betont. Und dass sich womöglich eine markante politische Spur durch die Völklinger Schau zöge, lässt sich beim besten Willen auch nicht behaupten. Wobei es ein paar rühmliche Ausnahmen gibt.

Wenn es denn zutrifft, dass diese Biennale "das größte UrbanArt-Projekt der Welt" sein soll, wie der Pressestab des Weltkulturerbes dies im Stil einer stehenden Wendung labelartig unter die Leute bringt, so gilt festzuhalten: Die seit einigen Jahren aus Vermarktungs- und Konservierungsgründen von Hauswänden oder Güterzügen auf transportable Untergründe umgestiegene Profi-Szene hat, soweit sie jedenfalls hier versammelt ist, den Nimbus des Subversiven eingebüßt. Nichtsdestotrotz ist die Völklinger Biennale unbedingt zu em pfehlen. Auch wenn das künstlerische Gefälle gewaltig ist, mithin also nicht alles Gold ist, was sprühlackmäßig glänzt: Entdeckungen lassen sich aber zuhauf machen.

Gleich im Entree der historischen Möllerhalle, deren industrielle Patina für manche der rund 130 dort ausgestellten Arbeiten eine Idealkulisse ist, besticht Éric Lacans drei auf vier Meter große Plakat-Leinwand "Black Mass". Im Katalog wird Lacans Werk nicht unzutreffend als "floraler Okkultismus" etikettiert. Umso mehr fallen daneben solch platte Arbeiten wie die von Tilt oder Bananensprayer ab. Letzterer zeigt Trump als Affen mit Banane im Maul. Im lang gezogenen Möllergang und den davon abgehenden, teils kabinettartigen Räumen defiliert man an einer Bandbreite unterschiedlichster, straßenkunstgeschulter Stilformen entlang. Zu sehen gibt es: 1) ausgereifte Porträtkunst (David Walkers farbspritzerübersätes Gesicht "Ruth" und Jef Aérosols ikonographische Schablonenarbeit "Basquiat"); 2) comicartige Schrillheit ohne jeden gedanklichen Biss (bezeichnenderweise steht dafür insbesondere Buff Monster, laut Kurator Krämer rätselhafterweise "der absolute Hollywood Star der Szene"); 3) malerische Arbeiten, die ins Abstrakte und Konstruktivistische reichen (exzellent umgesetzt bei SatOne, bei Chamarelli, bei Thomas Canto und bei SWIZ); 4) plakative Graffitimalerei an der Grenze des Kitschs (etwa beim Berliner Sprayerduo Heraklut), 5) farblich grell aufgeladene Verfremdungen des traditionellen, bildhaften Graffiti-Writings (bei Mambo oder Smash 137); 6) figurative Lösungen im klassischen 3-D-Style bei Shaka oder 7) auf Holztüren aufgetragene filigrane Schablonen-Grafiken in Schwarzweiß von Monkeybird. Mit einem Wort: Variationsarmut kann man der Ausstellung nicht vorwerfen. Das Spektrum ist weit gefasst.

Eine Biennale-Bereicherung sind mehrere unter dem Rubrum "UrbanArt 2.0" laufende interventionistische Arbeiten. Gemeint sind damit künstlerische Eingriffe in den öffentlichen Raum. Der in Berlin lebende Spanier Vermibus etwa entfernt Modeplakate aus städtischen Schaukästen, bearbeitet sie mit einem speziellen Lösungsmittel, auf dass sich die Farben neu vermalen lassen und die (wieder in die Kästen gehängten) Plakatmodels am Ende gehäuteten Zombies gleichen. Superb! Ganz ähnlich ersetzt der Amerikaner Jordan Seiler Werbetafeln durch eigene geometrische Muster (in Völklingen mit Fotos dokumentiert und mittels einer für die Schau aufs Handy zu ladenden App, die Seilers Austauschakte im Video zeigt). Weniger ergiebig fällt der zweite Biennale-Schwerpunkt aus, der einen Spot auf die farbpralle, allerdings vorwiegend folkloristisch oder vordergründig bleibende südamerikanische Street Art-Szene wirft. Heraussticht aus diesem Dutzend nur der Brasilianer Melim, dessen geteilte Bildformate in ihrem (dé-)collagehaften Stil "wie ein zufälliges Stück Straße" wirken, wie es treffend im Katalog heißt.

Der eigentliche Höhepunkt der Biennale aber sind die Installationen auf dem Außengelände der Hütte - komplettiert um einige, noch von der früheren UrbanArt-Ausgaben übrig gebliebene, haltbarere Arbeiten. Ihr Verfall ist ihnen, je nach Grad ihres Ungeschütztseins, eingeschrieben. Im Treppenhaus des erstmals zugänglichen, nachtdunklen Kohleturms etwa hat der Franzose Thomas Canto in gut zehn Meter Höhe eine hinreißende, von Licht- und Klanggewittern begleitete Rauminstallation geschaffen. In einem begehbaren, weiß tapezierten Schornstein mit Himmelsausblick hat der Chilene Mambo ein schwarzes Formengewirr-Rundbild implementiert. Ferner sind mehrere, auf Mauern und rostfarbene Kästen aufgeklebte, filigrane Seidenpapier-Arbeiten des Franzosen Levalet im Gelände um den Paradiesgarten verteilt. Dazu ist ein Kokerei-Raum einer zweiteiligen Op-Art-Meditation des Südafrikaners R1, gemacht aus Absperr-Klebeband, vorbehalten.

Es lohnt also, einige Zeit nach Völklingen mitzubringen, um neben der dichtgehängten Möllerhalle und den rund um den Paradiesgarten verstreuten Installationen auch das immer wieder überwältigendste Kunstwerk auf sich wirken zu lassen: die Hütte selbst.

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 „Dissident“, eine im hintersten Teil der Möllerhalle zu sehende, gelungene Arbeit des Berliner Spraykünstlers Alias (li). Daneben zwei Klebeband-Werke des Südafrikaners R1 in der Kokerei.

„Dissident“, eine im hintersten Teil der Möllerhalle zu sehende, gelungene Arbeit des Berliner Spraykünstlers Alias (li). Daneben zwei Klebeband-Werke des Südafrikaners R1 in der Kokerei.

 Ein Höhepunkt der Völklinger Biennale: Thomas Cantos Rauminstallation im erstmals öffentlich zugänglichen Betonkohleturm. Fotos: Rolf Ruppenthal

Ein Höhepunkt der Völklinger Biennale: Thomas Cantos Rauminstallation im erstmals öffentlich zugänglichen Betonkohleturm. Fotos: Rolf Ruppenthal

Die UrbanArt Biennale 2017 präsentiert 100 Künstler mit 150 Werken aus 17 Ländern - als besonderes Bonbon ist mit "Toxic Mary (double)" ein Werk des weltweit wohl bekanntesten Street Art-Künstlers Banksy zu sehen. Hauptausstellungsort ist die Möllerhalle, im Weltkulturerbe gibt es zusätzlich 20 "ortsfeste Installationen" zu sehen. Eröffnung ist am Sonntag um 10 Uhr. Am Eröffnungstag ist der Eintritt frei. Die erste Führung findet um 13 Uhr statt. Ein Konzert des saarländischen Rappers Drehmoment findet um 16 Uhr statt. 14 ausstellende Künstler werden am Eröffnungstag anwesend sein. Die "UrbanArt" läuft bis 5. November und ist täglich von 10 bis 19 Uhr zu sehen (dienstags ab 15 Uhr Eintritt frei).

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