Ist das Kino der Nazis besser als sein Ruf?

In seiner Doku „Hitlers Hollywood“ beleuchtet der Filmjournalist das NS-Kino und plädiert für einen differenzierteren Umgang.

 Ilse Werner in Helmut Käutners Film „Große Freiheit Nr. 7“, aus dem Suchsland eine furiose Traumsequenz zeigt. Das NS-Regime wollte den melancholischen Film nicht zeigen, er lief erst nach dem Krieg. Foto: Farbfilm Verleih

Ilse Werner in Helmut Käutners Film „Große Freiheit Nr. 7“, aus dem Suchsland eine furiose Traumsequenz zeigt. Das NS-Regime wollte den melancholischen Film nicht zeigen, er lief erst nach dem Krieg. Foto: Farbfilm Verleih

Foto: Farbfilm Verleih

Hetzfilme wie "Jud Süss" brachte das Kino der Nazis hervor, dazu propagandistische Unterhaltungsfilme - aber auch künstlerisch interessante Werke. Die behandelt Journalist Rüdiger Suchsland in der Doku "Hitlers Hollywood". Er plädiert für einen differenzierteren Blick aufs NS-Kino und sieht gleichzeitig Gefahren bei scheinbar unverfänglichen, bei uns frei erhältlichen Filmen der Nazizeit.

In Ihrem Film sagen Sie, die NS-Filme seien besser als ihr Ruf. Wie meinen Sie das?

Suchsland Sie sind künstlerisch interessanter als man denkt. Man kann natürlich jeden propagandistischen Film schlecht nennen, eben weil es Propaganda ist. Man muss aber ehrlicherweise zugeben, dass viele Filme der NS-Zeit handwerklich und künstlerisch gelungene Filme sind, mit guten Schauspielerauftritten und kunstvollen Bildern.

Geht es Ihnen also um eine Ehrenrettung des NS-Films?

Suchsland Nein, die kann es nicht geben. Mir geht es um eine Ehrenrettung unserer Intelligenz. Wir sind klug und mündig genug, um in diesen Abgrund hinein zu schauen. Selbst in guten Filmbüchern sind die Kapitel über den NS-Film sehr kurz und holzschnittartig. Man liest von Riefenstahl, Harlan, "Jud Süss" und "Kolberg", eben den extremen Propagandafilmen. Mehr nicht.

Aber die Filme der NS-Zeit sind nicht alle künstlerisch belanglos - schließlich haben auch Regisseure wie Helmut Käutner, Wolfgang Staudte und Detlef Sierck, der sich in Hollywood später Douglas Sirk nannte, in der Filmindustrie der Nazis gearbeitet - unbestritten große Filmemacher, auch wenn sie sich stellenweise moralisch fragwürdig verhalten haben. Die Filme insgesamt pauschal geringzuschätzen, wäre seinerseits ideologisch und zu sehr Schwarz-Weiß-Denken.

Viele der offen propagandistischen Filme sind heute so genannte Vorbehaltsfilme - das heißt, man kann sie nur mit einer historischen Einführung und einer Diskussion sehen, auf DVD gibt es sie offiziell nicht. Wie stehen Sie dazu?

Suchsland Manche dieser Filme sind gefährlich, aber nicht alle: Ich glaube nicht, dass "Jud Süss" jemanden zum Antisemiten macht. Ein Vorbehaltsfilm wie "Stukas", ein militärischer Protzfilm, ist uns heute sehr fremd - ich kann mir nicht vorstellen, dass davon eine Gefahr ausgeht, schon gar nicht die, dass wir jetzt alle die Niederlande bombardieren wollen. Andererseits gibt es frei erhältliche Filme, die ich für gefährlich halte: "Verwehte Spuren" etwa von Veit Harlan, der das Denunzieren der Angehörigen zugunsten der "Volksgemeinschaft" propagiert. Oder "Der große König" über Friedrich den Großen, ein bösartig militaristischer Film, der eine offensichtliche Linie von Friedrich dem Großen zu Hitler zieht.

Auch "Wunschkonzert", bei uns frei auf DVD, ist ein infamer Film in seiner offenen Vermischung von Angriffskrieg und Unterhaltung: Da sehen wir die Legion Condor eine spanische Stadt bombardieren, vielleicht Guernica. Dazu läuft das schmissige Stuka-Lied der Nazis. Das ist der reine Zynismus, verpackt in guter Laune.

Wie weit wirkt die Vorbehaltsregelung überhaupt - man kommt an die Filme ja doch rgendwie heran.

Suchsland Gerade deshalb stellt sich die Frage: Wollen wir einen Hetz-Film wie "Jud Süss" zu einem Mythos machen, indem wir ihm die Aura des Geheimnisvollen, Verbotenen geben - obwohl er das ja nicht ist? Oder wollen wir als Demokratie uns die Deutungshoheit über diese Filme nicht nehmen lassen? Wer "Jud Süss" heute als DVD haben will, der kann ihn nur im Ausland kaufen, am Ende unterstützt er damit noch unwissentlich ein Neonazi-Netzwerk.

Heißt das, man sollte diese Filme dann einfach freigeben?

Suchsland Nein, es müssten natürlich schon erstmal wissenschaftlich verbindliche Fassungen erstellt werden, die man dann mit Begleitkommentar und Bonusmaterial versieht, das den Film einordnet, ähnlich wie die jüngst hergestellte Ausgabe von "Mein Kampf". Ich möchte den Verantwortlichen aber Mut machen, dass wir uns zumuten können, uns diesen Filmen zu stellen - und gelegentlich auch auszusetzen.

Wie sehen Sie manche Karrieren vor und nach 1945? Regisseur und NS-Funktionär Wolfgang Liebeneiner drehte 1941 den Film "Ich klage an", der die Euthanasie befürwortet - nach dem Krieg inszeniert er am Theater die Uraufführung von Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür". Das ist reichlich bizarr.

Suchsland Liebeneiner, ein eiskalter Opportunist, ist ein Paradebeispiel dafür, dass es keine Stunde Null im deutschen Kino gab - er hat sofort weitergemacht. Veit Harlan ("Jud Süss") hat sich ein, zwei Jahre bedeckt gehalten und dann weitergemacht. Es gab keine Stunde Null für die vielen Mitläufer.

Auch nicht für bewährte Stars wie Heinz Rühmann?

Suchsland Rühmann war in der NS-Zeit besonders opportunistisch. Er hat dann später Kontakt zu Hollywood gesucht und wollte dort, zugespitzt gesagt, Juden spielen, um etwas für sein Image zu tun - wie in "Das Narrenschiff".

Und Helmut Käutner oder Wolfgang Staudte, die wohl wichtigsten Regisseure des Nachkriegsfilms?

Suchsland Staudte hatte im "Dritten Reich" kaum als Regisseur gearbeitet, war aber als Darsteller in "Jud Süss" dabei. Er hat nach dem Krieg politisch entschieden linke Filme gedreht, die immer auch ein wenig moralisierend waren, ein bisschen schwarz-weiß. Käutner ist grundsätzlich ambivalenter und interessanter. Er stellt viel mehr in Frage, auch sich selbst. Bei Staudte spürt man immer, dass er weiß, dass er auf der richtigen Seite steht.

Die Fragen stellte Tobias Kessler.

"Hitlers Hollywood" startet morgen im Saarbrücker Filmhaus. Die ungekürzte Fassung des Interviews gibt es unter: kinoblog.saarbruecker-zeitung.de

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