Ein „Othello“ ohne Bösewicht

Saarbrücken · Dagmar Schlingmanns Abschieds-Arbeit am Staatstheater hat Höhen und Tiefen.

 Hass verbindet Jago (Nina Schopka) mit Othello (Ali Berber). Foto: Stage Picture

Hass verbindet Jago (Nina Schopka) mit Othello (Ali Berber). Foto: Stage Picture

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Erstens kommt es anders. Zweitens als man denkt. Ist von Wilhelm Busch, klingt aber auch ein bisschen nach Brecht und passt zu diesem Abend, den das Publikum, anders als erwartet, nicht dazu nutzte, ihre scheidende Intendantin noch einmal hoch leben zu lassen. So knapp und sauber wie die von Dagmar Schlingmann auf zwei Stunden eingedampfte Shakespeare-Tragödie (1604) fiel am Samstag der Beifall für sie aus. Offensichtlich waren die Premieren-Zuschauer nicht satt geworden mit diesem souverän und stringent erzählten Eifersuchts-Psycho-Thriller, sie wollten auch eine Nachdenklichkeitsübung absolvieren zum Thema missglückte Integration und Diskriminierung. Doch letztere war gestrichen, der verstörende Sound, den Shakespeare seiner Soldaten- und Intrigen-Geschichte mitgab, indem er die Ur-Angst vorm fremden schwarzen Mann kitzelte - und als verhängnisvoll entlarvte.

Schlingmann schubst den "Mohr von Venedig" aus den edelsten Dogen- und Militär-Kreisen der Renaissance ins Mackie-Messer-Milieu der 1920er Jahre, samt Melonen und proletarischen langen Unterhosen (Kostüme: Inge Medert). Statt aktueller Flüchtlings-Videos mal eine "Othello"-Moritat, mit statuarischen Figuren, die auf einem Präsentierteller solistische Nummern liefern? Theoretisch ginge das schon, geht aber im Staatstheater dann doch nicht. Also ein Flop zum Abschied? Nein, so schnell ist man nicht fertig mit Schlingmanns Kunst. Wir sitzen in einer Berg- und Tal-Bahn zwischen Blutleere und Vitalität, atmosphärischer Ödnis und grandiosen schauspielerischen Momenten.

Gespielt wird auf einer leeren Rampe, die mitunter fahlgelb wie der Neid leuchtet und von einer riesigen Schräge bedacht und bedrückt wird. Links und rechts reihen sich Scheinwerfer, denn Privatheit wird öffentlich gelebt (Bühne: Sabine Mader). Auf diese abstrakte Optik und Ortlosigkeit antwortet Alexandra Holtsch mit ähnlich unspezifischer Musik, die auch schon mal nach Wellness und Lounge klingt.

Passt das zusammen, passt es vor allem für die perfideste Intrige der Weltliteratur? Es geht um Rufmord, um ein perverses Spiel, um Gockel-Kämpfe in einer Macho-Welt. Der Mohr Othello ist General, der beste Mann der Truppe, bewundert und verachtet. Venedig braucht ihn gegen die Türken. Deshalb fruchten Brabantios (Klaus Meininger) Anklagen gegen den "Drecksdieb" und "Verhexer" seiner Tochter Desdemona auch nicht. Rassismus wäre unökonomisch. All diese Hintergründe lässt Schlingmann kaum ahnen. Othellos Umfeld, die Nebendarsteller, selbst Rodrigo (Heiner Take), sacken ab zu blassen Statisten oder werden - das passiert Yevgenia Korolov als Hure - zur Karikatur aufgedonnert. Vergeudetes Darsteller-Potenzial. Zumindest aber gelingt Cino Djavid als Cassio ein Kabinettstückchen: So niedlich betrunken sah man Othellos Liebling noch nie. Auch Christiane Motter verblüfft als Emilia mit bitteren und zickigen Tönen einer frustrierten Ehefrau. Kein Wunder: Ihr Jago ist ein Totalausfall. Zuerst übergeht ihn Othello bei der Beförderung, und dann kann er nicht mal richtig Schurke.

Schlingmann hat die berühmte Rolle des Chefmanipulators, der Othello einflüstert, Desdemona gehe mit Cassio fremd, einer Frau, hat sie Nina Schopka anvertraut. Doch die sonst Formidable entpuppt sich als krasse Fehlbesetzung. Ihr Lausbuben-Charme, ihre coole Schnoddrigkeit, hier sind sie ein Irrweg; Shakespeares monströse Figur schrumpft zum Westentaschen-Hallodri. Schopka zittert, zweifelt, kämpft mit den Tränen, gibt das arme, zu kurz gekommene Würstchen, das immer weiter muss und oft nicht weiter weiß. Diesen Jago hat sie wahrlich nicht drauf, Shakespeares "Theologie der Hölle".

Gottseidank gibt es aber doch ein Kraftzentrum, ein Paar wie Pech und Schwefel. Vanessa Czapla und Ali Berber sind zwei durch ihr Verlangen aufgepeitschte Temperamentsbündel und Klammeräffchen, zwei auf Augenhöhe. Das energische Girl der Czapla, es ist wunderbar, es passt nicht in den Streifen "Die Schöne und das schwarze Biest". Auch Ali Berber erweist sich als Idealbesetzung, ist zunächst Hengst und Löwe, dann ein von Zweifeln und Trauer zerfressener, paranoider Mann, schwitzend, ungepflegt, ein Bild jammervoller Auflösung. Berber schnappt nach Luft, krümmt sich, rappt sich in den Wahnsinn; etwas ganz Tiefes bricht da auf. Er schlägt um sich, mutiert zu dem, was die anderen in ihm sehen: ein Tier, ein geiler Affe, der das Sofa bespringt. Berber, das ist ein grandioser King Kong der Ohnmacht, er spielt sich die Seele aus dem Leib, steht am Ende mit nacktem Oberkörper im Zuschauerraum: "Das ist der, der Othello war. Hier bin ich." Kein keckes Rätsel, Realität, die bewegt. Ach, wäre nur der gesamte Abend aus diesem Guss der Meisterklasse.

Zum Thema:

"Othello" am 1., 4., 9., 21., 28. April; 28. Mai; 9. Juni. Karten: Tel. (06 81) 309 24 86. Zum Thema Antidiskriminierung gibt es am 1., 21., 28. 4., 28. 5. und 9. 6. nach der Vorstellung Publikumsgespräche.

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