Lange hat er gefälscht, jetzt schreibt er authentisch – und wie!

Berlin · Der Journalist Tom Kummer, der berühmt wurde mit Hollywood-Interviews, die er frei erfunden hatte, legt mit „Nina & Tom“ ein starkes Erzählstück vor.

Prinzenstraße in Berlin-Kreuzberg. Der Schweizer Autor Tom Kummer, 54, stellt seinen ersten Roman vor. Er liest Kapitel daraus. Voller Saal, auch die Medienmeute ist vertreten. Weihevolle Stimmung. Kummer gibt sich locker, lächelt pausenlos und antwortet der Moderatorin Katja Kuhlmann kurz, defensiv. Oft bleiben Fragen unbeantwortet oder er weicht aus, sagt "Ich war ein guter Tennisspieler, ein sehr guter". Das Publikum johlt. Für die jungen Leute ist Kummer ein Star.

Tom Kummer ist ein Fälscher. In "Tempo", dem "SZ Magazin" und anderswo publizierte er Interviews mit Hollywood-Stars, die nie real stattfanden. Er hat Dutzende Redakteure, die nach guten Stories gierten, reingelegt. Er lieferte die Texte, von denen sie träumten. Das Kalkül ging auf: Er wurde ständig gedruckt, seine Honorare stiegen. Brad Pitt, Sharon Stone, Charles Bronson. Als das aufflog, mussten zwei Chefredakteure des "SZ Magazins" gehen. Auch seine Reportagen kleisterte er aus Presseausschnitten und geschicktem Abmischen zusammen. In Berlin gibt er zu, dass er auf Reisen meist im Hotel saß und Erlebnisse seiner Lebensgefährtin Nina, die sie erzählte, "so runter schrieb". Kummer tippt bei dem Bekenntnis mit den Fingern, lächelt fast triumphal, das Publikum grölt. Nur wenige im Saal wissen, dass er 2016 wieder für Artikel in der "Weltwoche" aus anderen Quellen abschrieb. Kummer nennt das "Borderline-Journalismus", "Existieren ist doch bloß ein Plagiat", erklärte er. Seine Fans haben keine Probleme mit den Fakes.

2014 starb seine Frau Nina an Krebs. Er hat sie zwei Jahre in den Tod begleitet, ihre und seine Geschichte aufgeschrieben. Eine starke, authentische Erzählung, berührend. Kurze Sätze, die Realität als Märchen. Die Geschichte zweier Partystromer. In Barcelona sieht er "das Wesen" in einer Bar. Ist sie ein Junge, ein Mädchen? Er ist starr vor Anziehung, sie schwebt in ihrer Kunstlichtwolke hinterm Tresen. Tabak, Kokain, chronische Müdigkeit, Selbstzerstörung. Nina geht mit Tom um 1985 nach West-Berlin, sie verstehen sich als Performancekünstler. Weiter nach L.A.. Seine sexuelle Besessenheit hält das Paar zusammen, Kummer verdient Geld als Journalist und Tennislehrer, zwei Söhne machen das Paar zur Familie. Dann Ninas Krebs. Kummer schildert eine exzessive Beziehung, die im grässlichen Todeskampf endet. Gegenwart, gekoppelt mit Rückblenden. Er betreut Nina rund um die Uhr, füttert sie und darf den Zeitpunkt für das Morphium wählen. Und er erlebt eine Art von Läuterung. "Ich berühre ihre Nachtwindeln. Wir liegen jetzt in Löffelstellung aneinandergeschmiegt."

Tom Kummer: Nina & Tom. Blumenbar, 253 Seiten, 20 €.

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