Staudte, der ungeliebte Moralist

Saarbrücken · Ein neues Buch erinnert an den in Saarbrücken geborenen Filmregisseur Wolfgang Staudte. Am Sonntag wird es in der Camera Zwo in Saarbrücken vorgestellt, dazu läuft ein selten gezeigter Staudte-Film.

 Eine Szene aus „Kirmes“ (1960). Der Film erzählt von einem Wehrmachtsdeserteur (Götz George), der 1944 in seinem Heimatdorf in der Eifel Zuflucht sucht – und verstoßen wird. Rechte Kreise nannten den Film damals ein „Hetz- und Lügenmachwerk“. Foto: Filmmuseum Berlin

Eine Szene aus „Kirmes“ (1960). Der Film erzählt von einem Wehrmachtsdeserteur (Götz George), der 1944 in seinem Heimatdorf in der Eifel Zuflucht sucht – und verstoßen wird. Rechte Kreise nannten den Film damals ein „Hetz- und Lügenmachwerk“. Foto: Filmmuseum Berlin

Foto: Filmmuseum Berlin

Eine wechselvolle, schwierige Karriere: Er spielte als Komparse im berüchtigten NS-Hetzfilm "Jud Süss", drehte dann mit "Die Mörder sind unter uns" den ersten deutschen Nachkriegsfilm. Für die ostdeutsche Defa, das volkseigene Filmunternehmen der DDR, drehte Wolfgang Staudte unter anderem "Der Untertan"; in der jungen Bundesrepublik entstanden Filme wie "Rosen für den Staatsanwaltschaft" oder "Kirmes", wegen denen er oft als "Nestbeschmutzer" angefeindet wurde - einen "verwirrten Pazifisten" nannte ihn nicht etwa ein rechtes Blatt, sondern der "Spiegel", zumindest noch 1951. In der Unterhaltungs-Filmindustrie hatte Staudte es schwer, während das junge deutsche Kino ihn als Repräsentant von "Opas Kino" ignorierte. Später verschuldete er sich als sein eigener Produzent so sehr, dass er fortan fast ausschließlich fürs Fernsehen arbeitete, "Tatort" und "Der Seewolf" drehte - auch wenn ihn die "Zwergenschicksale" des TV, wie er es sagte, nicht sonderlich interessierten.

Staudte, 1906 in Saarbrücken geboren und 1984 bei Dreharbeiten in Slowenien gestorben, gilt neben Helmut Käutner als wichtigster Regisseur des deutschen Nachkriegskinos - seine besten Filme verbinden präzise Gesellschaftskritik mit Kunst und Unterhaltungswert; manchmal kann Staudte aber auch etwas didaktisch und moralisierend wirken.

An den Filmemacher erinnert nun ein lesenswertes Buch, das in Zusammenarbeit mit der Saarbrücker Staudte-Gesellschaft entstanden ist. "Nachdenken, warum das alles so ist" (ein Satz aus dem 1949er Film "Rotationen") ist kein chronologisches Lesebuch von Karrierebeginn bis -ende, bietet auch keine komplette Filmografie, sondern setzt mit verschiedenen Beiträgen collagenhaft ein Bild Staudtes zusammen.

Der Saarbrücker Psychologe Siegfried Zepf beschäftigt sich mit "Der Untertan", den Staudte 1951 in der DDR drehte und der erst sechs Jahre später im Westen lief, gekürzt um zehn Minuten - geschnitten war etwa das Ende, mit dem Staudte eine Verbindung vom deutschen Kaiserreich zum Zweiten Weltkrieg zieht. Uschi und Andreas Schmidt-Lenhard von der Staudte-Gesellschaft beschreiben die kontroverse Wirkung von Filmen wie "Rosen für den Staatsanwalt", "Kirmes" und "Herrenpartie", die das verdrängungswillige Deutschland kritisierten und, nicht überraschend, immer schwieriger zu finanzieren waren. Staudte sah es so: Es sei schwer, "die Welt verbessern zu wollen mit dem Geld von Leuten, die die Welt in Ordnung finden".

Zu seinen sieben "Tatorten" zählt auch "Tote tragen keine Wohnung" (1973), den der Saarbrücker Psychologe Alf Gerlach exemplarisch untersucht. Durch die Geschichte von der Gentrifizierung eines Wohnviertels fühlten sich viele Immobilienmakler als Gierschlunde diffamiert - erst nach 19 Jahren strahlte der produzierende Bayerische Rundfunk den Film noch einmal aus.

Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler beleuchtet Staudtes Synchronarbeiten: 1945 überwachte er die Synchronisierung von Eisensteins "Iwan, der Schreckliche", 25 Jahre später verpflichtete ihn der legendär wählerische Regisseur Stanley Kubrick, der den "Untertan" sehr schätzte, für die Synchronregie dreier seiner Filme: "Uhrwerk Orange" (1971), "Barry Lyndon" (1975) und "Shining" (1980). Staudte berichtete damals lapidar von einem sehr überzeugenden Anruf Kubricks: "Er meinte, ich sollte." Er tat es.

Eine gute Ergänzung sind die Erinnerungen an Staudte, die das Magazin "Filmdienst" vor zehn Jahren zum 100. Geburtstag sammelte und die hier nochmal abgedruckt sind: Götz George erinnert sich an die erste Begegnung mit dem linken Staudte und dessen nicht gerade antikapitalistisch wirkenden neuen Swimmingpool. Oskar Lafontaine würdigt Staudte als "politischen Moralisten", Filmjournalist Peter W. Jansen beschreibt eine Begegnung mit Staudte Ende der 70er in der SWR-Kantine in Baden-Baden: einen "einsamen, verbitterten Mann" sah er da, der sich wunderte, dass "Münchner Bubis" wie Fassbinder oder Alexander Kluge Filmförderung bekämen - und er nicht.

 Filmemacher Wolfgang Staudte (1906-1984). Foto: Staudte

Filmemacher Wolfgang Staudte (1906-1984). Foto: Staudte

Foto: Staudte

Wolfgang Staudte - "Nachdenken, warum das alles so ist". Herausgegeben von Alf Gerlach und Uschi Schmidt-Lenhard. Schüren Verlag, 256 Seiten, 24.90 Euro. Buchvorstellung: Sonntag, 15 Uhr, Camera Zwo (Sb). Es läuft Staudtes Bürokratie-Satire "Der Mann, dem man den Namen stahl" aus dem Jahr 1944.

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