Warteweltmeister im Familiengefängnis

Saarbrücken · Mit seinem Debüt legt Arno Frank einen der besten Romane der Saison vor: Übermorgen kann man sich in Saarbrücken davon überzeugen.

Irgendwann, da sind sie schon ein gutes Jahr lang auf der Flucht, längst am Boden und der Roman bald zuende, sagt Arnos Schwester Jeany, während sie im Keller eines Münchner Vorort-Reihenhauses den Staub von einer Modelleisenbahnlandschaft pustet: "Es müsste schön sein, in so einer Welt zu leben. Nichts rührt sich, alles bleibt gleich." Für Jeany und Arno wäre ein komplett runtergedimmtes Leben das große Glück. Sie aber müssen mit ihren Eltern immer wieder durch halb Europa fliehen, aus Plastiktüten leben und hinter jeder sich bewegenden Hecke und Gardine einen Uniformierten oder gleich Interpol wittern. Man ist nämlich hinter dem Vater her, der mit 300 000 Mark durchgebrannt ist und der nun, wo alles Geld weg ist, zwar viel Zweckoptimismus versprüht, im Grunde aber mit seinem Hochstapler-Latein am Ende ist.

Ein paar Sätze nach Jeany fasst Arno Frank seine damaligen Gefühle als 13-Jähriger ohne Halt und Bleibe zusammen: "Ich habe es satt, nur auf Sicht zu fahren, wenn es hinter jeder Ecke schlimmer wird. Ich habe die Anfänge satt, die ins Leere laufen. Ich habe es satt, dem guten Willen fremder Menschen ausgeliefert zu sein." Frank erzählt in seinem ersten, maximal autobiografischen Roman das einschneidendste Jahr seines Lebens: "So, und jetzt kommst du" zeichnet die 18-monatige Odyssee des 13-Jährigen samt Vater, Mutter, Schwester, Bruder und zwei Hunden nach, die sie Mitte der 80er Jahre von Kaiserslautern zunächst nach Frankreich führte, wo sie an der Côte d'Antibes ein Jahr lang in Saus und Braus in einer Villa lebten und alles verjubelten.

Um dann völlig abgebrannt weiter nach Portugal zu türmen, wo sie in Lissabon in einem Hotel einige Monate von der Hand in den Mund leben. Ehe die ruinierte, verwahrloste, immer apathischere Familie zuletzt die Heimkehr antritt, um ihr Abtauchen dort in einem letzten Akt ebenso quälender wie aussichtsloser Realitätsabwehr fortzusetzen.

Was für ein Buch! Wie Frank der existenziellen Haltlosigkeit seiner Kindheit nachspürt; wie er uns diese familiäre, aneinandergekettete Notgemeinschaft vor Augen führt; welche hinreißenden, völlig unverbrauchten Bilder und Worte er findet, um die immer klaustrophobischere Situation, den schleichenden Niedergang und die an den Kindern nagenden Ängste, ihre Ohnmacht ohne jedwede Larmoyanz zu vergegenwärtigen - all das ist für einen Debütanten (Frank arbeitete bislang als freier Journalist für diverse Blätter, darunter die "taz", "Dummy" und "Spiegel online") äußerst bemerkenswert.

"Du frisst oder du wirst gefressen", hat der anfangs noch beherzt in K-Town mit Gebrauchtwagen handelnde Vater - ein Aufschneider vor dem Herrn und lange Zeit ein notorisches Stehaufmännchen - seinem Sohn eingeschärft. "So, und jetzt kommst du", beschließt der Vater seine Lebensunterweisungen. Aber da kommt nichts - weil Arno weiß, dass Jürgen, den Vater, überhaupt nicht interessiert, was sein Sohn will und denkt und fühlt. Genauso wenig wie die Daumen lutschende, labile, das Geld zum Fenster hinauswerfende Mutter.

"Wir haben einen Arsch voll Geld", sagt Jürgen wie zur Beruhigung, während sein "Großer" Arno sich fragt, was eigentlich Arsch für eine Maßeinheit ist. "Sind Ärsche geräumig, wie die Geldspeicher von Dagobert Duck?" Das schwarzrote Piaggio-Moped, das der Vater ihm im südfranzösischen Jubeljahr schenkt, kostet der introvertierte Arno gleichwohl aus.

Je mehr Situationskomik Frank über seinen eher sparsam instrumentierten, aber situativ umso genauer eingefangenen Szenen ausschüttet, umso besorgter wartet man selbst auf den Absturz. Je mehr die Kinder ihrem Vater magische Kräfte zuschreiben, um sich zu beruhigen. Oder die Eltern als tektonisch sich die Hand reichendes Gebirge betrachten, das - klar - nicht ins Rutschen geraten kann.

Je mehr Illusionen platzen, desto mehr setzt der Vater auf Sippenhaft. Wie Frank das armselige Familiengefängnis ausleuchtet, ist literarisch exzellent. Am Ende sitzt Arno in einem Spielplatzhäuschen, um mal ein Dach über dem Kopf zu haben. Draußen geht seine Schwester Jeany, späte Roman-Heldin, an ihm vorbei. Weinend, ihre Ausflüchte, das Schönreden des Elends nicht mehr ertragend.

 Schriftsteller Arno Frank (45), der mit seiner eigenen Familie in Wiesbaden lebt. Foto: Verlag Klett-Cotta/Gerd Hartung

Schriftsteller Arno Frank (45), der mit seiner eigenen Familie in Wiesbaden lebt. Foto: Verlag Klett-Cotta/Gerd Hartung

Foto: Verlag Klett-Cotta/Gerd Hartung

Arno Frank: So, und jetzt kommst du. Roman. Tropen, 352 Seiten, 22 Euro. Auf Einladung der Saarbrücker Buchhandlung Raueiser liest Arno Frank übermorgen (Donnerstag, 19 Uhr) im Theater im Viertel (Landwehrplatz). Eintritt: 5 €.

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