Meer, Moor und Malweiber

Hamm · Im westfälischen Hamm widmet sich das Gustav-Lübcke-Museum sieben Künstlerkolonien des Nordens von Ferch bis Hiddensee und Worpswede – eine sehenswerte Ausstellung.

 Karl Lorenz Rettichs Gemälde „Graal“. Foto: Kulturhistorisches Museum Rostock/Fotoagentur nordlicht

Karl Lorenz Rettichs Gemälde „Graal“. Foto: Kulturhistorisches Museum Rostock/Fotoagentur nordlicht

Foto: Kulturhistorisches Museum Rostock/Fotoagentur nordlicht

Ohne die Erfindung von Farbtuben hätte es Künstlerkolonien vielleicht nie gegeben. Das Malen in der freien Natur wäre ohne sie viel zu mühsam gewesen. Die Freilichtmaler von Barbizon machten Mitte des 19. Jhr. den Anfang. Um die Jahrhundertwende schossen Künstlerkolonien dann wie Pilze aus dem Boden. Alleine in Deutschland gab es seinerzeit bis zu 30. Nicht jeder war davon begeistert. Gerhart Hauptmann auf Hiddensee fühlte sich in seinem Sommerhaus durch den 1922 gegründeten Künstlerinnenbund gestört und wetterte im Tagebuch gegen Henni Lehmann und ihre Blaue Scheune: "Es ist ein ekelhaft bekrochenes Eiland geworden. Ein dickes Weib hat eine Villa errichtet, und malt frech vor der Tür mit zwei Zentnern am Leibe. Fürchterlich!"

Immer mehr Maler flohen gegen Ende des 19. Jhr. vor der Zivilisation und der Industrialisierung. Unter Gleichgesinnten wollten sie ein einfaches Leben führen, weit weg von Kunstakademien mit ihren engen Vorstellungen. Otto Modersohn brachte es auf den Punkt: "Fort von den Akademien, nieder mit den Professoren und Lehrern, die Natur ist unsere Lehrerin." Nebenbei war das Leben auf dem Land auch billiger als in der Stadt.

Das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm präsentiert in der Schau "Lieblingsorte - Künstlerkolonien" jetzt sieben Kunstzentren des Nordens. Neben Worpswede, Hiddensee und Ahrenshoop sind auch die weniger bekannten Kolonien Schwaan, Nidden, Heikendorf und Ferch zu entdecken. Mehr als 80 Gemälde von 40 Künstlern. Moorlandschaften von Fritz Overbeck, blühende Obstgärten von Rudolf Bartels, verschlafene Dörfer von Franz Bunke und Abendstimmungen über dem Meer von Karl Lorenz Rettich. Der Rundgang durch die von Direktorin Friederike Daugelat kuratierte Schau wird zu einem Kurzurlaub an der See.

Fast zum Synonym für Künstlerkolonien geworden ist Worpswede. 1889 kamen Fritz Mackensen und Otto Modersohn ins 30 Kilometer nordöstlich von Bremen gelegene Teufelsmoor und mieteten sich in Bauernkaten ein, die so beengt waren, dass sie die Kleider in Obstbäume hängten. Bald zogen Fritz Overbeck und Hans am Ende nach Worpswede. Heinrich Vogelers Barkenhoff wurde zum kulturellen Zentrum. Da Frauen bis 1918 nicht an Akademien studieren durften, kamen auch immer mehr "Malweiber". Sie lernten bei den Malern und heirateten diese nicht selten wie Paula Modersohn-Becker und Hermine Overbeck-Rohte. Ebenfalls in Schleswig-Holstein, an der Kieler Förde, befindet sich Heikendorf, die unbekannteste der sieben Kolonien. Um 1900 entdeckte eine Künstlergruppe um Heinrich Blunck das Ostseebad. 1923 heiratete Blunck die Tochter des Sanitätsrates, kaufte sich ein Haus mit Garten. Werner Lange, Georg Burmester, Rudolf Behrend und Oskar Droge folgten. Während ihre Ateliers im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, bildet Bluncks Haus seit 2000 das Herz der Künstlerkolonie.

Weiter im Osten gilt das 20 Kilometer südlich von Rostock gelegene Schwaan als das "mecklenburgische Worpswede". Bis zum Ersten Weltkrieg existierte die Künstlerkolonie, die später zu DDR-Zeiten vergessen zu werden drohte. Erst durch eine Ausstellung in Schwerin anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens wurde sie 1992 wiederentdeckt. Wesentlich bekannter ist Ahrenshoop. 1889 entdeckten die Maler Paul Müller-Kaempf und Oskar Frenzel bei einer Wanderung vom Hohen Ufer in Althagen aus das Fischerörtchen. Es wirkt auf sie wie aus einer anderen Zeit. 1892 gründen sie eine Künstlerkolonie. Um zu überleben malte Müller-Kaempf Postkarten, die er an Reisende verkaufte, und gründete die Malschule St. Lukas. Mit Theodor Schorn eröffnete er 1909 den "Kunstkaten", Ahrenshoops erste Galerie. Um 1900 erlebte der Ort dann einen regelrechten Boom. In der DDR ernannte Johannes R. Becher ihn zum "Bad der Kulturschaffenden". Seit 2014 knüpft das Kunstmuseum Ahrenshoop an alte Traditionen an.

Auch im brandenburgischen Ferch erinnert heute wieder ein kleines Museum an die Havelländische Malerkolonie, die sich nach 1900 am Schwielowsee ansiedelte. Schlechter erging es dem heute in Litauen gelegenen Nidden, wo Ernst Mollenhauer 1920 im Gasthof eine Künstlerkolonie gründete. Den Bildersturm der Nazis, die seine Gemälde als "entartet" bezeichneten, konnte Mollenhauer noch verhindern. Als aber die Rote Armee einmarschierte, verheizte sie seine Bilder in einer Sauna.

 Fritz Overbecks „Birken vor Kornfeld“ (um 1892). Foto: Lübke-Museum

Fritz Overbecks „Birken vor Kornfeld“ (um 1892). Foto: Lübke-Museum

Foto: Lübke-Museum

Bis 21. Mai. Di-Sa: 10-17 Uhr, So 10-18 Uhr.

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