Ein Auffangbecken namens ,,Anti”

Saarbrücken · In seinem exzellenten Buch „Die autoritäre Revolte“ demaskiert der Historiker Volker Weiß Europas Rechtspopulisten.

Wer an einer fundierten Aufarbeitung der ideologischen Wurzeln von Pegida und AfD, von europäischer Rechter und "Identitärer Bewegung" interessiert ist, der wird künftig an Volker Weiß' heute erscheinendem Buch nicht vorbeikommen. Aus guten Gründen ist "Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Es vertieft und aktualisiert Thesen, die der promovierte Historiker erstmals in seiner vielbeachteten Studie "Deutschlands Neue Rechte" von 2011 im Zusammenhang mit der Sarrazin-Debatte entwickelte. Durch Sarrazin, schreibt Weiß im Vorwort seines die Rechte nun im europäischen Maßstab hinsichtlich ihrer historischen Wurzeln und zeitgemäßen Ausprägungen in den Blick nehmenden Buches, hätten rechtspopulistische Positionen "den Weg in die breite Öffentlichkeit" gefunden. Und damit Fragen der kulturellen und nationalen Identität, die heute der AfD als Nährboden dienen.

Weiß hat die publizistischen und organisatorischen Plattformen heutiger Rechtspopulisten eingehend untersucht. Entsprechend tauchen die zur inoffiziellen Parteizeitung der AfD avancierte "Junge Freiheit" (laut Weiß das wichtigste Organ der Rechten) und das im Jahr 2000 von dem Rechtsaußen-Verleger Götz Kubitschek ("Antaios") mitbegründete private "Institut für Staatspolitik" (IfS) und dessen Zeitschrift "Sezession" als maßgebliche Foren immer wieder auf. Aufgearbeitet werden auch die ideologischen Frontverläufe innerhalb der rechten Publizistik - so insbesondere der Bruch zwischen "JF" und "Sezession" im Zuge der AfD-Gründung 2013.

Während die "Junge Freiheit" die Liberalisierung der CDU unter Merkel beklagte und den Nationalkonservatismus in weite Ferne rücken sah, plädierte Kubitscheks radikalere, auch geschichtsrevisionistische Thesen vertretende "Sezession" seit 2009 für einen Schulterschluss der völkisch orientierten "Identitären" und Neofaschisten Europas. Daraus resultierte ein Grabenkampf, der Weiß zufolge auch die AfD in "eine völkische und eine nationalliberale Strömung" zu spalten drohte. Die Entmachtung von Parteigründer Bernd Lucke durch Frauke Petry kittete den Bruch beider Lager (und ließ auch Pegida und AfD zusammenrücken). Gleiches galt für die rechte Publizistik, die nach dem Bruch nur vorüber getrennt marschierte. Inzwischen schlägt man, wie Weiß betont, wieder gemeinsam.

Das ohne Polemik auskommende (und deshalb umso treffendere) Buch macht klar, dass es trotz marginaler Parallelen zu kurz greife, die Historie der deutschen Rechten als polares Pendant zur "68er-Bewegung" (und den Grünen) zu deuten. Vielmehr bezog sie ihr geistiges Rüstzeug von Autoren der sogenannten "Konservativen Revolution" der 1920er wie Artur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt, Ernst Jünger oder Oswald Spengler, auf dessen "Untergang des Abendlandes" Weiß' Buch im Untertitel Bezug nimmt. So betrieben die deutschen Rechtspopulisten eine Rekonstruktion der preußisch-deutschen Reichsidee. Prägend sind demnach ein ausgeprägtes Faible für autoritäre Herrschaftsformen, ein glühender Anti-Liberalismus und - damit verbunden - eine mehr oder minder offene Anti-Westlichkeit.

Weiß schreibt: "In diesem Denken ist ,der Osten' insgesamt ein Rettungsanker für die dem Identitätsverlust anheimgefallenen Europäer." Ein "eurasisches Bündnis" (auf russischer Seite maßgeblich vom einflussreichen Ultranationalisten Alexander Dugin verfolgt) ist nach Weiß' eingehenden Recherchen die von Rechtspopulisten favorisierte globale Großraumordnung. Er erinnert daran, dass Pegida anfangs auf Betreiben antiwestlich gestimmter Kreise "Pegada" heißen sollte: "Patriotische Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes".

Das Buch skizziert die im Dunstkreis von Studentenverbindungen fischende und im Zeichen des führenden rechtsradikalen Theoretikers Alain de Benoist eine elitäre Gesellschaftsordnung und den "ethnokulturellen Erhalt" Europas propagierende "Identitäre Bewegung". Diese setzt auf provokative Aktionen, Subkultur-Image und Blut & Boden-Kitsch - und liegt wegen ihrer Europa-Ideologie mit Marine Le Pens anti-europäischem "Front National" über Kreuz. Der als freier Publizist tätige Weiß ("Die Zeit", "Jungle World") arbeitet das besorgniserregend enge europäische Netzwerk der "Neuen Rechten" heraus. Wie eine Spinne sitzt darin Verleger Kubitschek, der unter dem Namen "Phalanx Europa" einen Versandhandel zur plakativen Formung eines identitären Markenkerns betreibt - Weiß nennt ihn den "Bewegungsunternehmer der Identitären".

Bemerkenswert ist am Ende der Befund, dass nicht der Islam der größte Feind identitärer Politik ist - auch wenn er im Zuge von Einwanderung als "ethnische Bedrohung" gesehen wird. Vielmehr sei dies die USA - infolge der "Niederlage, die der ,Amerikanismus' 1945 dem Reich des ,Eigenen' bereitete und mit dem Kulturwandel von 1968ff besiegelte". Letzterer mündete für die Rechte in Dekadenz, Materialismus und Homosexualität. In Kubitscheks Antaios-Verlag feiern daher Bücher wie "Der Weg der Männer" des US-Neotribalisten Jack Donovan ein bündisches, tradiertes Kriegerleben. Donovan schreibt lobend über die Attentäter vom 11. September 2001, sie hätten "Eier aus Stahl" gehabt.

Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Klett-Cotta, 304 S., 20 €.

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