Junge Blicke auf einen alten Kontinent

Hamburg · In Hamburg werfen zwölf junge Fotografen einen ernüchternden Blick auf gesellschaftlich relevante Konflikte in Europa.

 Aus der Foto-Serie „The Girls from Malawa“ von Marie Hald über magersüchtige Mädchen in einer Einrichtung in Polen. Foto: Marie Hald

Aus der Foto-Serie „The Girls from Malawa“ von Marie Hald über magersüchtige Mädchen in einer Einrichtung in Polen. Foto: Marie Hald

Foto: Marie Hald

Grenzen, so glaubte man lange Zeit in Europa, seien spätestens mit dem Fall der Mauer zu einem Relikt rückwärtsgewandter, noch primär nationalstaatlich organisierter Epochen geworden. Doch schon 1991 mit dem ersten Jugoslawienkrieg wurden Optimisten eines Besseren belehrt. Die heutigen Verhältnisse in Ungarn und Polen, aber auch der Brexit zeigen auf erschreckende Art und Weise, dass es in Europa offenbar gerade wieder en vogue ist, sich im Namen der eigenen nationalen Identität abzukapseln, ja sogar mit neuen Zäunen zu umgeben.

Die Ausstellung "Shifting Boundaries" mit zwölf jungen Fotografinnen und Fotografen aus neun europäischen Ländern, die jetzt im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen ist, stellt sich diesen und anderen virulenten Konflikten. Sie findet im Rahmen des "European Photography Exhibition Award 03" statt, einem Gemeinschaftsprojekt der Hamburger Körber-Stiftung mit Stiftungen in Italien, Portugal und Norwegen.

Ziel des Projektes ist es, junge europäische Fotografen dazu zu animieren, gesellschaftlich relevante Themen in künstlerische Projekte umzusetzen, die über die fotojournalistische Tagesaktualität hinausweisen. Einigen ist das eindrucksvoll gelungen. Vier Kuratoren haben jeweils drei Künstler nominiert. Erlaubt waren auch Präsentationsformen, die über die rein fotografische Umsetzung des Themas hinausgehen. Daher sind in der Schau auch Filme, Videos, Soundarbeiten, skulpturale Arbeiten und Installationen zu sehen.

So präsentiert die 1976 geborene Wienerin Christina Werner eine multimediale Installation, in deren Zentrum eine kurze Videosequenz steht, die den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders während einer Rede in der Wiener Hofburg zeigt. In reduzierter Schwarz-Weiß-Ästhetik zu sehen ist Wilders, dessen schneidende Stimme durch die ganze Ausstellungshalle schallt, aber nur von den Knien abwärts. Werner setzt immer wieder auf Momente der Verdichtung und Reduktion, wenn sie sich den Inszenierungsstrategien rechter Gruppierungen nähert. Gleich sechs Fotografien von den Flaggen der identitären Bewegung schichtet sie in der Collage "Identitarian Movement" übereinander. Der Hamburger Robin Hinsch, Jahrgang 1987, wiederum hat die Ostukraine bereist und dort auf beiden Seiten des Konfliktes fotografiert. Auch seine Aufnahmen gehen weit über die bildjournalistische Ebene hinaus. In "entsättigten" Farben, die er als visuelles Äquivalent für verblassende Erinnerungen an friedlichere Zeiten auffasst, zeigt Hinsch ein erbittert umkämpftes Niemandsland voller zerbombter Häuser, zerschossener Panzer, verängstigter Zivilisten und desillusionierter junger Soldaten. Die Ungarin Ildikó Péter verdichtet Bilder vom 170 Kilometer langen Stacheldrahtzaun zwischen Ungarn und Serbien zu einem filmischen Lamento über den Verlust von Freizügigkeit, und die Französin Marie Sommer sucht im Geburtsort von Marschall Tito eine verfallene Bibliothek auf, die im früheren Jugoslawien zu einem nationalen Schulungszentrum für Funktionäre gehörte. Deren chaotischer Zustand spiegelt die Lage der ganzen Region wider.

Die Schau stimmt nicht gerade optimistisch, was die zukünftige Entwicklung in einem wieder verstärkt auf Grenzziehungen und nationale Egoismen setzenden Europa angeht. Doch sie zeigt auch, dass es vielen jungen Fotokünstlern nicht gleichgültig ist, was zur Zeit passiert, und dass sie inhaltlich und formal dazu in der Lage sind, den Status quo des alten Kontinents in nachdenklich stimmende Bilder umzusetzen.

Läuft bis 1. Mai. Di-So 11-18 Uhr.

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