Maskulinität als Frage auf Leben & Tod

Der US-Regisseur und große Oscar-Gewinner über seinen Film „Moonlight“ und die Identität von Afroamerikanern.

Mr. Jenkins, dies ist erst Ihr zweiter Kinofilm. Hat Sie der enorme Erfolg von "Moonlight" überrollt?

Jenkins Im ganzen Oscar-Trubel darf man nicht vergessen, dass dies kein konventioneller Film ist. Die Erzählstruktur ist ungewöhnlich. Der visuelle Stil entspricht überhaupt nicht dem, was man von einem sozialrealistischen Film erwartet. Ich hätte nie gedacht, dass dieser Film auf eine solch universelle Weise so gut ankommt. Hätte ich "Moonlight" gedreht, um einen Oscar zu gewinnen, sähe er ganz anders aus: Mehr Tränen und am Ende würden sie Händchen halten und in den Sonnenuntergang hineinlaufen. Aber das wäre nicht der Film, den wir machen wollten.

"Moonlight" beruht auf dem Theaterstück von Tarell Alvin McCraney. Was hat Sie daran fasziniert?

Jenkins Ich bin in derselben Gegend in Miami aufgewachsen. Tarrell hat die Stimmung dieses Viertels sehr gut eingefangen. Vor allem die Mutterfigur hat mich sehr an meine eigene Familiengeschichte erinnert. Meine Mutter war ebenfalls drogenabhängig. Ich habe gespürt, dass diese Figur sehr wahrhaftig gezeichnet ist.

"Moonlight" geht mit seinen Figuren, die in einem rauen sozialen Umfeld leben, sehr zärtlich um. Warum diese Herangehensweise?

Jenkins Meine Mutter und ich sind durch harte Zeiten gegangen, aber ich empfinde ihr gegenüber keinerlei Bitternis. Sie hatte ein hartes Leben. Trotzdem hat sie sich immer eine bestimmte Zärtlichkeit bewahrt. Dieselbe Zärtlichkeit wollte ich den Figuren im Film entgegenbringen. Das Theaterstück ist ja entstanden, weil Tarell in seiner Kindheit zu einem lokalen Drogendealer eine sehr vertraute, väterliche Beziehung hatte. Wir haben oft diese Stereotypen im Kopf, wenn eine Figur außerhalb unseres kulturellen Horizontes steht. Ein Freund von mir sagt: "Ein Dealer ist immer nur ein Dealer." Aber dort, wo ich aufgewachsen bin, sind die Menschen nicht allein die Summe dessen, was sie tun. In unserem Film ist ein Dealer ein Mensch, der mit Drogen handelt.

"Moonlight" zeigt über drei Lebensstationen hinweg einen jungen Afroamerikaner, der sich allmählich seiner eigenen Homosexualität bewusst wird. Rechneten Sie mit kontroverseren Reaktionen?

Jenkins Vor zehn Jahre hätten die Reaktionen sicher noch ganz anders ausgesehen. Aber drei Jahre, nachdem der Supreme Court in den USA die gleichgeschlechtliche Ehe als Verfassungsrecht etablierte, hat sich die Stimmung im Land verändert. Wenn sich einer unwohl dabei fühlt, wenn zwei Männer auf der Straße Hand in Hand gehen, muss er heute sehen, wie er damit klar kommt. In der Welt, in der wir selbst aufgewachsen sind, ist Männlichkeit dagegen ein gut bewachter Garten, und wenn sie einem von den anderen abgesprochen wird, hat man es sehr schwer.

Woher kommt diese rigide Vorstellung von Hypermaskulinität ?

Jenkins Die Geschichte der Schwarzen in den USA ist eine von Erniedrigung. Wir wurden als Sklaven nach Amerika gebracht. Als wir unsere Freiheit bekamen, war es deshalb notwendig, die eigene Männlichkeit stark herauszustellen. Hätten wir irgendeine Schwäche gezeigt, hätte die Gefahr bestanden, dass man uns die Freiheit wieder genommen hätte. Die Idee der Maskulinität war für Schwarze hier lange eine Frage auf Leben und Tod. Ein Teil dieses Erbes lebt heute in der schwarzen Gemeinde weiter und führt dazu, dass abweichende Formen von Männlichkeit nicht akzeptiert werden.

Wird Ihr Film das Black Cinema in den USA verändern?

Jenkins Spike Lee musste fast 20 Jahre lang das afroamerikanische Kino allein repräsentieren. Jetzt sind wir an einem Punkt, dass so viele afroamerikanische Regisseure Filme machen, dass keiner mehr für alle sprechen muss, wenn es um die Erfahrung von Schwarzen in den USA geht. Wir können viel konkreter und genauer über unsere Viertel, unsere Zeit und unser Leben sprechen. Die Filmindustrie in Hollywood wurde immer von weißen Torwächtern dominiert und um als Afroamerikaner Zugang zu bekommen, musste man ein Stück weit auch immer seine Stimme verkaufen. Heute sieht die Situation anders aus: Dadurch, dass die Kosten für einen Film durch die neue Technologie sehr viel niedriger sind, werden auch die Möglichkeiten der Einflussnahme geringer. Unser Film kommt ungefiltert aus einem schwarzen Bewusstsein heraus.

Das Aufblühen des afroamerikanischen Kinos ist auch eine Folge der Obama-Ära. Wie blicken Sie in die Zukunft unter Donald Trump?

Jenkins In den Staaten kam der Film drei Wochen vor der Wahl heraus und ist auch eine Weile danach noch gelaufen. Ich habe gesehen, wie sich die Reaktion des Publikums nach der Wahl wandelte. Die Menschen haben sich "Moonlight" angeschaut, um sich rückzuversichern, dass die USA nicht der Ort sind, an dem es nur eine Version des amerikanischen Lebens gibt. Aber ich denke, im Post-Obama-Amerika werden wir Filmemacher unsere Stimme in Zukunft aggressiver zum Ausdruck bringen. Das wird auch notwendig sein.

Das Gespräch führte

Martin Schwickert

Zum Thema:

Barry Jenkins' Wege als Regisseur Sein erster Film "Medicine for Melancholy" war ein kleiner Festivalhit; zwei weitere Filmprojekte von Barry Jenkins, 1979 in Miami geboren, scheiterten dann. In "Moonlight", seinem übermorgen bei uns anlaufenden zweiten Film, entfernt er sich gezielt von den Klischees und dem harten sozialen Realismus, mit dem das Leben in afroamerikanischen Communities sonst dargestellt wird. Der Film basiert auf einem Stück von Tarell Alvin McCraney, der Jenkins zu einer Drehbuchfassung seines Stücks animierte. Die erste Version schrieb Jenkins in Brüssel. "Meine Freunde haben mir gesagt, dass Brüssel im Sommer der langweiligste Ort in ganz Europa sei und ich dort keinerlei Ablenkung hätte", erklärt er das.

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