Es lebe das Mitgefühl: Goldener Bär für Ildikó Enyedi

Berlin · Es war die vielleicht schönste Liebesgeschichte des Festivals. "Körper und Seele" von Ildikó Enyedi verbindet den genau beobachteten tristen Alltag seiner Protagonisten mit einem magischen Realismus. Das Paar lernt sich im Schlachthof kennen: Die Fleischkontrolleurin Maria (eine hypergenaue Blondine, die etwas Roboterhaftes hat) und den desillusionierten kaufmännischen Leiter Endre (der mit einem verkrüppelten Arm zu leben weiß) verbindet nichts. Doch merken sie, dass sie jede Nacht synchron träumen von einem Hirsch und einer Hirschkuh, die sich paaren.

Dass die Jury unter Vorsitz von Paul Verhoeven Enyedis Film den Goldenen Bären zusprach, sagt einiges aus über einen Wettbewerb, dem die absoluten Höhepunkte fehlten. "Dieser Film hat uns an ein Wort erinnert, das wir häufig zu leichtfertig verwenden: Mitgefühl", begründete Verhoeven das Votum. Leer ging der Film aus, in dem am meisten gelacht wurde: Sally Potters "The Party". Mehr als das Erdgeschoss eines Reihenhauses benötigt Potter nicht, um eine Komödie in Gang zu setzen, die um eine linksliberale Politikerin kreist. Honoriert hat die Jury hingegen Wettbewerbsbeiträge, die sich der sozialen Realität widmeten oder virulente Themen aufgriffen. Wie etwa der kongolesische Beitrag "Felicité" (Großer Preis der Jury), in dem eine Sängerin und alleinerziehende Mutter in Kinshasa Geld auftreiben muss, um ihrem Sohn die Amputation seines Beines zu ersparen. Oder wie Agnieszka Hollands polnischer Film "Pokot", ein mit den Mitteln des Horrorfilms arbeitender Ökothriller (Alfred-Bauer-Preis). Oder Sebastian Lelios "A fantastic woman", der vom Recht auf Trauer einer Transgender-Frau erzählt (Drehbuchpreis).

Dass die Jury Aki Kaurismäkis "Die andere Seite der Hoffnung", in dem ein syrischer Flüchtling auf einen finnischen Restaurantbesitzer trifft, den Regiepreis gab, könnte man als Wink an den Finnen deuten, weiterzumachen. Kündigte er doch an, als Regisseur aufzuhören.

Zum Thema:

Alle Berlinale-Bären auf einen Blick Goldener Bär: "Körper und Seele" (I. Enyedi/Ungarn); Großer Jury-Preis: "Félicité" (Alain Gomis/Frankreich, Senegal); Beste Regie: "Die andere Seite der Hoffnung" (A. Kaurismäki/Finnland); Beste Darsteller: K. Min-hee, "On the Beach at Night Alone", Hong Sang-soo/Südkorea; G. Friedrich, "Helle Nächte", Thomas Arslan; Bestes Drehbuch: Sebastián Lelio/Gonzalo Maza, "A Fantastic Woman", Lelio (Chile); Beste Doku: "Ghost Hunting" (Raed Andoni/Frankreich, Palästina); Alfred-Bauer-Preis: "Pokot" (A. Holland/Polen); Bester Erstlingsfilm: "Summer 1993" (Carla Simón/ Spanien); Goldener Bär/bester Schnitt: Dana Bunescu, "Ana, mon amour"; Goldener Bär/bester Kurzfilm: "Kleine Stadt" (Diogo C. Amarante/Portugal)

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