Der Realismus, der aus der Abstraktion kam

Neunkirchen · Hyperrealismus vom Feinsten: Die Städtische Galerie Neunkirchen zeigt in einer erlesenen Schau das malerische Werk des Hamburgers Jochen Hein.

 Ein Höhepunkt der Schau: „Kochende See II“ (1,00 mal 1,40 Meter). Fotos: Jochen Hein/ Katalog Städtische Galerie Neunkirchen

Ein Höhepunkt der Schau: „Kochende See II“ (1,00 mal 1,40 Meter). Fotos: Jochen Hein/ Katalog Städtische Galerie Neunkirchen

Die Perspektive, aus der "Filet IV" (das erste, gleich rechter Hand des Eingangs zu sehende Bild) gemalt ist, wirkt dramatisch aufgeladen: Wir scheinen von oben auf einen wenige Meter entfernten Meeresstrudel zu blicken. Als kreisten wir im Hubschrauber dicht darüber und könnten durch eine Bodenluke die schäumende See studieren. Das Spinnennetz der Gischt. Die Verheißungen der Tiefe. Das Erahnen der Strudel. Gleich mit diesem ersten, 130 mal 180 Zentimeter großen Gemälde erliegt man Jochen Heins Hyperrealismus. Auch wenn sich dies im Fortgang in Teilen dann relativiert.

"Über die Tiefe" ist die Neunkircher Ausstellung des Hamburgers Hein (56) überschrieben. Auch wenn die Seestücke das Umwerfendste dieser Schau sind: Der Titel spielt nicht alleine auf die Meerestiefe an, die Hein aus dem Illusionswunder seiner Leinwandfläche in dritter Dimension evoziert. In die Tiefe führen auch seine großformatigen Porträts, in denen sich aus dem tiefschwarzen, fast den gesamten Bildraum einnehmenden Grund nur die Gesichter und Hände der Dargestellten herausschälen. Genauso wie auch die Landschaften Heins in das vordringen, was als Empfindungsraum jenseits der Impression liegt. Meer, Grün, Personen: Damit sind die drei Sujets der Schau benannt.

Wobei das Herzstück der Ausstellung die Seestücke sind, zu denen auch zwei neunteilige Serien gehören. Während "Schwere See" (Acryl-Kleinformate auf Büttenpapier) quasi einen Blick in die Werkstatt eröffnet, weil sich hier gut studieren lässt, mit welchen malerischen Mitteln Hein naturalistische Illusionen erzeugt, illustriert die Serie "Seenebel", wie der in Hamburg lebende Maler Licht- und Witterungswechsel kongenial in Farbe übersetzt.

"Kochende See II", das zweite See-Großformat, zeigt pars pro toto das malerische Prinzip Heins: Was aus ein paar Metern Entfernung wie eine mit dem Teleobjektiv herangezoomte Aufnahme eines Stücks tosenden Meeres wirkt, löst sich beim Herantreten an das Gemälde in eine Kaskade von feinsten Farbspritzern auf, wobei die Weißflächen wie gespritzter Farbnieselregen wirken. Die Leinwand lüftet zwar nicht die Werkstatt-Geheimnisse von Heins Schaffensprozess. Offenbart aber die so aus der Distanz nicht zu erwartende Flächigkeit seines Farbauftrags - ausgenommen das mehr als fünf Meter breite, einen sichtbareren Pinselstrich zeigende Triptychon "Nordsee" - und die durch mehrere Grundierungsschichten von Dunkel zu Hell entstehende Sogwirkung dieser Gemälde. Ihre Magie macht aus, dass die Realismus-Illusion in Abstraktion gründet: Aus der Nähe atomisiert sich jedes Bild in Tupfer, Spritzer und Striche. Wenn man weiß, dass Hein seine Naturbilder nicht nach Vorlagen malt und ebenso viel eruptive Zufälligkeit wie handwerkliche Technik in sie hineinlegt, lässt sich ihre malerische Qualität genauer bemessen.

Wenn man so will, zeigen Heins Meeresforschungen den Triumph der Malerei über die Fotografie - zumindest in den großformatigen Seestücken. Denn Heins Park- und Wiesenlandschaften entwickeln nicht dieselbe Wucht. Malerisch ebenso makellos, fehlt ihnen die Aura der Meerbilder. Vielleicht weil ihre Motive - Heins großformatige, bestechende Grasstudien niedergedrückter Halmareale ausgenommen - eine Spur zu lieblich, zu träumerisch sind.

Bleiben noch die acht seriellen Porträts im Format 1,80 mal 1,30 Meter: Seltsamerweise hebt sich ihre Wirkung in der Aneinanderreihung geradezu auf. Zwar bleibt der Schachzug zündend, Gesichter und Hände scherenschnittartig herauszulösen und so die Wirkung von Kleidung als sozialen Indikator zu eliminieren. Weil man umso ausdauernder nach Spuren in den Gesichtern sucht (und dank Heins altmeisterlicher Transparenzgabe fündig wird). Aber das serielle Prinzip schwächt hier das einzelne Gemälde. Weil die Machart qua Wiederholung zu sehr in den Vordergrund rückt und zur Porträt-Masche wird. Will sagen: Weniger ist tatsächlich manchmal mehr.

 Aus der Porträt-Serie Jochen Heins: „Jessine“ (1,80 mal 1,30 Meter).

Aus der Porträt-Serie Jochen Heins: „Jessine“ (1,80 mal 1,30 Meter).

Bis 17. April. Mi-Fr: 10-18 Uhr; Sa: 10-17 Uhr; So: 14-18 Uhr. Geführter Rundgang mit Galerieleiterin Nicole Nix-Hauck: 19. 2. (15 Uhr). Künstlergespräch am 7. 4. (18 Uhr).

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