1:0 für Gerhard dank seiner K.o.-Phrasen

Saarbrücken · Der Saarbrücker Hans-Bernhard-Schiff-Preisträger Hans Gerhard glänzte mit einer Auswahl hintersinniger Erzählungen im Haus der Unionsstiftung.

Um der Effekte willen trägt Hans Gerhard, im Brotberuf Anwalt, gerne dick auf: Die kaskadenhaften, derben Phrasen pflügen wie Mähdrescher durch die fein geordneten Weltbilder seiner Leser, um dann gerne im hohen Ton die Verwüstung milde lächelnd zu besingen. Was genau sich hinter diesem wortgewandt-gefälligen Spiel verbirgt, lässt Gerhard offen - was am Dienstag in der Union Stiftung vielen gefiel.

Die immer mal korportierte Geschichte von der Mutter, die mit dem Rektor einer Schule schlief, damit ihr behinderter Sohn versetzt wurde, bettete Gerhard in seine Erzählung "Spielfeldbegrenzung" ein, in der "jeder nur seine Leistung bringen muss". In dem Fall eine Herkulesaufgabe: Denn Bernhard ist mit einem attestierten IQ von 71 "erwiesenermaßen nur lernbehindert." Ein Glück, dass es Programme gibt, "es gibt ja immer irgendwelche Programme": So steigt Bernhard in der Fußballgruppe für Behinderte zum Nationalspieler auf, der - so will es Gerhard - bei der "Weltmeisterschaft für geistig Behinderte" den dritten Platz gewinnt. Nur blöd, dass er einen IQ-Punkt zu viel hat und ihm und der Mannschaft daher der Titel aberkannt wird. "Irgendwann kommt jeder nicht mehr weiter - egal, ob er behindert ist oder nicht", bilanziert es Gerhards Text.

Nach dieser ersten Erzählung feixte Gerhard, dass er "nicht die alten erfolgreichen Sachen, sondern die neuen avantgardistischen" lesen werde. In seiner Geschichte "über die Freuden des Haltens von Fischens" ging es vordergründig um den Abtransport eines leeren Aquariums - Anstoß für einen aberwitzigen inneren Monolog des namenlosen Ich-Erzählers. Für ihn, den Neuen der Ex-Freundin des Aquariumsbesitzers Seeler ist dieses ganze Aquarium "eine Wissenschaft" - Beziehungen sind es auch, wie sich später herausstellt. Während er sich bei Seeler über die korrekte Entsorgung kleiner Fische im Klo informiert und "die Möglichkeit zuverlässiger Bevölkerungsschätzungen anhand des Klopapierverbrauchs" abwägt, beharkt sich seine Freundin mit ihrem Ex. Was aber keine Rolle spielt, denn letztendlich "werden wir niemals genau wissen, wer gerade am Leben ist und wer nicht", analysiert der Erzähler.

Es sind diese typischen K.o.-Phrasen, mit denen Gerhards Erzählinstanzen "die immense Spannbreite des alltäglichen Irrsins" ausloten, wie Markus Gestier von der Unionstiftung treffend die Lesung kommentierte. Wenn ein am Tourette-Syndrom Erkrankter beim Segelturn die "Windstille" mit seinem Geschrei stört oder ein Redakteur beim Interview mit dem eloquenten Fußballer Volcan sich in dessen "zielführenden Matchplan" verstrickt und dabei die Sprache verliert, findet Gerhard noch passende Worte für den absurden Verlust von Gewissheiten.

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