Luther, mehr Rebell als Reformator

Saarbrücken · Willi Winkler, bekannter Autor der Süddeutschen Zeitung, hat eine Luther-Biografie geschrieben, die sich weniger theologisch als politisch mit dem Reformator auseinander gesetzt.

 Über Martin Luther sind anlässlich des Reformationsjahres viele neue Publikationen erschienen. Foto: Endig/dpa

Über Martin Luther sind anlässlich des Reformationsjahres viele neue Publikationen erschienen. Foto: Endig/dpa

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Der Journalist und Publizist Willi Winkler gehört zu den so genannten "Edelfedern" der Süddeutschen Zeitung. Als Autor ist er jemand, bei dem man sich selten langweilt, über dessen Texte man mitunter auch schmunzeln kann. Als Fachmann für theologische Fragen oder kirchengeschichtliche Themen ist er bislang nicht aufgetreten. Dass er sich jetzt den Reformator als nationaldeutschen Rebell vornimmt, ist sicherlich ein Einstieg, der zum Jubiläum dem einen oder anderen willkommen erscheint, die geistige Auseinandersetzung mit Martin Luther aus heutiger Sicht aber nicht weiterbringt.

Bemerkenswert ist jedoch, wie Winkler es versteht, mit großer Akribie den durch die Jahrhunderte ständig gewachsenen Legendenfirlefanz um Luther und die Reformation zu zerpflücken. Da nimmt er kein Blatt vor den Mund. Das beginnt mit der Faktenlage, etwa mit der Romreise Luthers, für die es nach Winklers Worten "keinen noch so bescheidenen Hinweis" gibt. "Nicht einmal sein Geburtsjahr steht fest", heißt weiter. Winkler spricht da zu Recht von "zeittypischer Folklore". Luther war in Winklers Sicht nicht nur der alles umstürzende Reformator, sondern ohne eigenes Wissen oder Wollen auch die "gewaltigste Bedrohung" für das noch junge europäische Finanz- und Wirtschaftssystem. Da gerät Winkler geradezu ins Schwärmen. Durch seinen Kampf gegen die Ablass-praxis fügte Luther der Kurie in Rom erheblichen Schaden zu. Und die, so weiß es Winkler, "ahnt nicht, dass es der Hinterwäldler in Wittenberg ist, der sie um ihre Allmacht bringen wird".

Luther, der Ketzer. Ein Reformator? Ein Menschenführer? Er selbst wollte nicht die Führung, sondern wollte geleitet werden durch seinen Gott, was sein Biograf nicht wahrnimmt. Winkler meint, Luthers Popularität sei so schnell gewachsen, weil er Partei für Deutschland und gegen Rom ergriffen habe, was sicherlich nicht ganz falsch ist. Aber ein konservativer Revolutionär? Dass Luther er selbst bleibt, der Mensch aus dem Kloster, der Mensch, der für seine eigenen Bedürfnisse den Begriff der "Gerechtigkeit durch den Glauben" geschaffen hat, nur an die Wirkung des Wortes glaubt, das kommt für seinen Biografen nicht in Betracht. Vielmehr setzt er dagegen: "Luther wird der Herold einer deutschen Nation, die es noch lange nicht gibt."

Winkler gibt sich nicht mit theologischen Streitfragen ab. Ihn interessieren mehr die politischen und zeitgeschichtlichen Umstände, in denen Luther gelebt hat. Da kommen all die schlimmen Dinge zur Sprache, für die Luther auch verantwortlich ist. Sein tief sitzender Hass auf die Juden, in denen er den Teufel erkennt und zu deren Ermordung er aufruft. Oder die schreckliche Schrift gegen die aufständischen Bauern, sein erbarmungsloser Kampf gegen die Schwärmer um Thomas Müntzer. Die päpstliche Bannbulle, die gegen ihn verhängte Reichsacht, die Flucht auf die Wartburg als Junker Jörg, sein Kampf gegen einstige Weggefährten wie den Bilderstürmer Karlstadt. Winkler belässt es auch hier bei einfachen Schlussfolgerungen: "Luther hat sich, statt die himmlischen zu suchen, mit den irdischen Mächten verbunden." So reduziert er den Reformator auf die Funktion eines Nationalhelden mit allen Schattenseiten, die dazu gehören.

Willi Winkler, sicherlich nicht ein Freund altprotestantischer Luther-Apologetik, macht es sich auf seine Weise trotz seiner reichen Faktenansammlung zu einfach. Das Bild, das er von Luther zeichnet, gerät in die Nähe einer fanatischen, nahezu närrischen Persönlichkeit, die sich von ihren Ängsten und Wahnvorstellungen nicht befreien kann.

Historiker sind es meistens gewohnt, Persönlichkeiten aus ihrem Handeln her zu beurteilen. Winkler geht einen anderen Weg. Er betrachtet sein Sujet mit dem Ideologieverständnis unserer Tage. Dass der Mensch Martin Luther nervös, unruhig, unbeständig und in sich selbst verschlossen blieb, ist freilich keine neue Erkenntnis. Auch dass er angesichts der Schwierigkeiten, der Proteste auf der einen und der Ausschreitungen auf der anderen Seite, mit scharfer Empörung und heftigen Zornesausbrüchen reagierte, zeigt seine Schwächen. Aber wir wissen eben nicht, was in ihm vorging. Der Autor leugnet keineswegs die Bedeutung des Reformators, aber sieht ihn vor allem als engstirnigen Rebellen, als "großen Hasser" und "großen Zerstörer", als "ein Produkt der frühkapitalistischen Geldwirtschaft wie der weltfremden Mystik".Vor allem ist Winkler nicht willens oder in der Lage, sich in das Innere dieser komplexen Persönlichkeit zu versetzen.

Willi Winkler: Luther. Ein deutscher Rebell. Biografie. Rowohlt. 640 Seiten, 29,95 Euro.

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