Hochtouriger Blödsinn

Saarbrücken · Deutungswege ins Jetzt sucht der Saarbrücker „Tartuffe“ nicht. Lieber fackelt Regisseur Michael Talke am Staatstheater ein komödiantisches Feuerwerk ab. Eine ganze Weile geht das dank eines glänzenden Ensembles auch gut.

 Szene mit Cino Djavid, Christian Higer, Klaus Müller-Beck und Marcel Bausch (v.l.). Foto: Thomas Jauk

Szene mit Cino Djavid, Christian Higer, Klaus Müller-Beck und Marcel Bausch (v.l.). Foto: Thomas Jauk

Foto: Thomas Jauk

Im Hause Orgons halten die Narren Hof. Aber keinem den Spiegel vor. Sie stellen bloß ihre eigene (von Dekadenz beflügelte) Blödheit aus. Sind hinreißend kostümiert und enthusiasmiert (wider Willen von ihrem Gast, dem großen Verführer Tartuffe). Sind perückt und auch ein bisschen verrückt. Tun agil und bleiben doch infantil. Zwar ist der Hausherr der unangefochtene Ahnungslosigkeitsmeister, aber Raffinesse und Haltung sind, die gewiefte Zofe ausgenommen, denen im Hause Orgons auch sonst abhold.

Molières "Tartuffe" hat 350 Jahre auf dem Buckel. Was die Frage aufwirft, was man heute als Substrat aus dieser zu ihrer Zeit skandalträchtigen Komödie herausziehen soll. Damals wurde sie flugs verboten: In der Figur des religiösen Blenders Tartuffe, der unter dem Deckmantel des Glaubens nur die eigene Kaltschnäuzigkeit wärmt und andere lüstern nach Strich und Faden ausnimmt, erkannte sich der Klerus nur allzu gut. Aber heute? Lässt sich an Tartuffe noch ablesen, wohin Scharlatanerie führt? Was Blender anrichten können. Analogien wären denkbar. Erlebten wir nicht gerade die Inthronisierung eines grenzenlos selbstgefälligen Staatsschauspielers?

Insoweit bleibt Michael Talkes Saarbrücker "Tartuffe", der am Samstag im Großen Haus des Saarländischen Staatstheater Premiere hatte, alles schuldig. Talke unternimmt keinen Versuch, Molière zu modernisieren. Tartuffe trägt keine blonde Föhnfrisur und auch sonst kein politisches Gesicht von heute. Doch nicht dies muss und kann man dieser Inszenierung vorwerfen. Sondern dass sie vor lauter hochtourigem, wenn auch stellenweise köstlichem Klamauk dank eines vorzüglichen Ensembles keinen Raum gibt für Ernst, Reflexion. Talke lässt dem Klamauk freien Lauf - das allerdings gekonnt (Dramaturgie: Ursula Thinnes).

Das Ensemble sprüht vor Spiellaune, vielleicht auch dank "Crossgender-Besetzung" (diese Vokabel aus dem Programmheft müssen wir einfach übernehmen). So sehr, dass der Perückenpuder - ein Hoch auf die Turmfrisuren und Geckentum feiernde Kostümbildnerin: Agathe MacQueen - nur so durch die Luft schwirrt. Wobei Barbara Steiners Bühnenbild auf drei herabgelassenen Leinwandbahnen eine barocke Prunkkulisse als Hintergrund setzt, den Alexandra Holtschs höfische Musik untermalt. Ansonsten genügt eine mitten auf die Bühne gestellte Doppeltür, deren Auf- und Zugehen im besten Slapstick reihum lautmalerisch variiert wird. Platz genug also für (leider maßlosen) Blödsinn. Platz genug auch, um in den Graben zu fallen, wo Madame Pernelle (Orgons Mutter, der Cino Djavid bei aller tuntenhaften Gestik auch strafende Kraft verleiht) zwischengeparkt wird.

Orgon, diese kugelrunde Karikatur eines Verblendeten, ist eine Paraderolle für Klaus Müller-Beck. Er gibt ihn als tumben Idioten und polternden Haustyrannen zugleich und streicht sich den feisten Bauch, als sei's die neue Denkerpose. In blinder Ergebenheit überschreibt er Tartuffe allen Besitz und muss gewaltsam darauf gestoßen werden, dass der mittellose Hahnrei auch noch seine Frau verführt. Christian Higer verkörpert die Titelrolle in einer Melange aus erprobter Diabolik und abwartender Berechnung. Sein Tartuffe hat leichtes Spiel.

Ihm fallen die Dinge in den Schoß. Orgons Familie ist entweder auf den Kopf gefallen - zuvörderst seine Kinder Mariane (gekonnt die Absurdität seines Mann-Mädchentums ausspielend: Marcel Bausch) und Damis (ein herrliches Feuerwerk des Kindischen inklusive MG-Salven entfachend: Robert Prinzler). Oder sie sind so wankelmütig und verpeilt, dass von ihrer Seite Paroli nicht zu erwarten ist: Marianes Verlobter Valère (Gabriela Krestan lässt ihn konsequent an der Debilitätsgrenze entlanghuschen), Orgons Schwager Cléante (Yevgenia Korolov findet die nötige Balance aus Gernegroß und Gerneklein) und auch Elmire, die Tartuffes amourösen Frontalangriffen erliegende Frau Orlons. Silke Buchholz, als Einzige in kein Narrenkostüm, sondern in ein Negligé gesteckt, verkörpert vielleicht am ehesten ein Bindeglied ins Heute: Sie räkelt sich wie in einem Konversationsstück und spielt für Tartuffe das routinierte Frauenspiel "ein-Schritt-vor-und-zwei-zurück".

Dass der Abend betont ulkig bleibt und manche Schenkelklopfer bereithält, liegt nicht zuletzt an Nina Schopka. In der Rolle der die Orgon-Sippschaft lenkenden Zofe zieht Schopka komödiantisch alle Register.

Eine gute Stunde folgt man vergnügt diesem abenteuerlichen Blödsinn. Als klar wird, dass außer ein paar Regie-Einfällen (mal eine pingponghafte Molière-Texterweiterung, mal das viermalige Wiederholen einer Szene, jedes Mal schneller abgespult) nichts Aufbrechendes kommt, beginnt der Abend zu kippen. Und leer zu laufen. Dass Tartuffe zuletzt noch verliert, ist dann nur noch eine Fußnote in einem gleichwohl gefeierten Komödien-Overkill.

Nächste Vorstellungen:

2., 7. 10., 12. und 17. Februar.

Informationen und Karten:

Tel. (06 81) 309 24 86.

Als David Bowie am 10. Januar des vergangenen Jahres starb, war das ein Schock für seine Fans. Denn Bowie hatte seine Krebserkrankung nicht publik gemacht. Doch auf seinem letzten, zwei Tage vor seinem Tod mit 69 Jahren erschienenen Album "Blackstar" hat er ihn musikalisch antizipiert, wie es der Titel schon nahelegt.

Auf Bowies letztem Album findet sich auch das Stück "Lazarus", das am Freitag in der Sparte 4 den Bowie-Abend eröffnete. Der biblische Lazarus wurde durch Jesus von den Toten auferweckt - an diesem Abend sind es die drei Musiker Achim Schneider (Keyboards), Marc Sauer (Gitarre, Bass), Daniel Weber (Schlagzeug) und der Schauspieler Heiner Take alias David Bowie, die die Musik des Briten aufleben lassen.

Zu Beginn der Hommage betreten die drei Musiker nacheinander die Bühne und stellen jeweils eine Totenkerze auf dem niedrigen Couchtisch ab, bevor sie Platz nehmen und leise in einen sphärischen Sound einstimmen, der schließlich im Lazarus-Song mündet. Es folgt Heiner Take alias Bowie: Mächtig weißes Make-up hat er aufgetragen, trägt eine platingraue Perücke und ein weißes (Toten-)Hemd - darunter nichts als einen roten Hodenschutz. Orientierungslos wandelt er barfuß mit entzündeter Kerze Richtung Bühne, starrt mit weit aufgerissenen Augen fassungslos in den dunklen Raum, bevor er schließlich das Mikrofon findet und "Lazarus" anstimmt, mit den vielsagenden Worten "Look up here, I'm in heaven".

Nach diesem besinnlichen Auftritt wird der Abend mit vielen bekannten Bowie-Nummern immer lebendiger - und mit ihm Heiner Take, der im wilden Wechsel und mit Unterstützung seiner beiden Helferinnen die schillernden Maskeraden wechselt - wie Bowie es im Laufe seiner Karriere tat. Immer wieder gibt es Zwischenapplaus für die mal mehr, mal weniger originalgetreu vorgetragenen Nummern. Regisseurin Deborah Epstein rückt eindeutig Bowies Musik in den Vordergrund. Zwischen den mit präzisem Effekt gespielten Songs gibt es kürzere Einlagen, die unkommentiert Details aus Bowies Vita aufgreifen - etwa die von ihm oft eingesetzte "Cut-Up"-Technik beim Schreiben der Texte, die durch Auseinandernehmen und Neu-Zusammensetzen von Textzeilen neue Bedeutungen erschafft.

In einem langen, auf Englisch vorgetragenen Monolog beschwört der Beat-Poet Allen Ginsberg das von Bowie gelebte Außenseitertum und leitet rezitierend in ein fulminantes Schlagzeugsolo von Daniel Weber ein.

Auf Spiegel über der Bühne werden kurze Einspieler projiziert, die die künstlerische Multidimensionalität Bowies und das an diesem Abend forcierte Spiel mit dem Dies- und Jenseits erfahrbar machen. Als der bunte Abend nach eineinhalb Stunden endet, werden der sichtlich erschöpfte Heiner Take und die Musiker mit stehenden Ovationen gefeiert.

Die nächsten Termine:

1., 4., 10. und 11. Februar.

 Heiner Take alias Ziggy Stardust alias Aladdin Sane alias David Bowie. Foto: Marco Kany

Heiner Take alias Ziggy Stardust alias Aladdin Sane alias David Bowie. Foto: Marco Kany

Foto: Marco Kany
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