Mehr als ein Partyschuppen

Saarbrücken · Für Fans elektronischer Musik abseits des Mainstream ist es die erste Adresse: Der ,,Mauerpfeiffer” in Saarbrücken. Dessen ambitionierte Betreiber wollen mehr sein als ein Techno-Club. Deshalb gibt es dort auch Angebote mit explizit experimentellem Charakter.

 Die „Mauerpfeiffer“ am Ludwigskreisel: Tim Grothe und Gero Heckmanns (v.l.). Fotos: Iris Maurer

Die „Mauerpfeiffer“ am Ludwigskreisel: Tim Grothe und Gero Heckmanns (v.l.). Fotos: Iris Maurer

"Wir spielen nur, was uns selbst gefällt." Tim Grothe, Gründer des ,,Mauerpfeiffer", stellt das gleich klar, denn das ist das Mantra des Clubs. Neun Monate lang hat der 32-Jährige die heruntergekommenen Räume eines ehemaligen Tattoo-Shops und eines Bordells am Ludwigskreisel - gleich neben dem Quartier der Lucy Gang - hauptsächlich mit Hilfe von Freunden in Eigenregie zu dem umgebaut, was sie heute sind: Ein Club mit Keller, zwei Dancefloors, drei Bars und einem gemütlich-trashigen Hinterhof direkt am Bahndamm, in dem Gäste auf alten Chaiselongues chillen können, wenn's drinnen mal zu laut und schwül wird.

Der Mauerpfeiffer - eine Wortschöpfung übrigens - ist die Vergrößerung der ,,Unsichtbar", die Grothe fast bis zur Eröffnung des neuen Clubs im Juli 2016, im gleichen Gebäuderiegel mehr als sechs Jahre lang betrieb. Als sich die Chance bot, den ganzen Komplex zu kaufen, griff er zu. Am Ende finanzierte auch ein ,,Crowdfunding" 15 000 Euro des Umbaus. Die Techno-Community kam zu Hilfe, mit Geld und Arbeitseinsätzen. ,,Wir wollten keinesfalls fremde Geldgeber mit an Bord haben”, erklärt er. Denn Autonomie bedeutet für den Kreativ-Unternehmer alles. Und so passt es zu diesem unprätentiösen, netten Typ in Jeans und Sweat-Shirt, einem gelernten Kaufmann und zweifachen Familienvater, dass er nicht gerne im Mittelpunkt, sondern lieber als DJ am Mischpult steht.

,,Ich" kommt in seinem Wortschatz kaum vor, stattdessen spricht Grothe immerzu von ,,Wir", als er, sichtlich stolz auf monatelange Knochenarbeit, durch den Mauerpfeiffer führt, in dem alles improvisiert wirkt und viele Materialien und Teile einfach rausgerissen und an anderer Stelle wieder eingefügt wurden. Geschaffen hat er eine originelle, urban-industrielle Atmosphäre. ,,Funktionell” nennt Grothe die unverputzten Räume, in denen ausrangierte Sessel und Getränkekästen als Sitzgelegenheit dienen und Bars wie DJ-Pults einfach aus Beton gegossen wurden. ,,Hier geht es um die Musik für ein soundaffines Publikum, nicht um ein chices Ambiente.”

Und wie ist es mit dem Geld verdienen? So langsam rechne es sich, meint Grothe. Aber reich werde man bei den bescheidenen Eintritts- und Getränkepreisen nicht. Understatement gehört ein bisschen zu dieser Szene, in der man gerne unter sich bleibt. Kein Schild am Eingang verrät den ,,Mauerpfeiffer” in dieser unwirtlichen Ecke des unteren Malstatt direkt am Ludwigskreisel. Auf Werbung wird weitgehend verzichtet. Warum auch, bei Techno- und House-Fans sei der Club längst überregional bekannt, sagt Grothe selbstbewusst.

Es ist später Nachmittag, alles ist leer. Auf dem großen Dancefloor bauen junge Klangkünstler, Studenten der Saar-Kunsthochschule, ihre Utensilien für ein Konzert auf. Der Geruch - eine Mischung aus Bier, Nikotin, Schweiß und Keller - lässt erahnen, wie es hier samstags in den langen Party-Nächten (ab 24 Uhr) abgeht. Zur Demonstration schmeißt Gero Heckmanns, Tim Grothes ,,rechte Hand” und im Mauerpfeiffer von den Bookings bis zur Werbung für alles Mögliche zuständig, die Anlage an.

Mit 105 Dezibel schießen die Beats in die Magengrube, in den Ohren pulsiert Drum'n'Bass kurz vor der Schmerzgrenze. Ein Ganzkörper-Musik-Erlebnis. Die Anlage ist der ganze Stolz des Clubs, der nicht nur mit saarländischen DJs und Musikproduzenten arbeitet, sondern immer wieder auch bekannte Namen aus ganz Europa nach Saarbrücken holt.

Zu den Techno-Parties samstags pilgern mittlerweile bis zu 500 Menschen aus der gesamten Großregion. Man habe Gäste beispielsweise aus Frankfurt, Luxemburg, dem benachbarten Frankreich. Die Tiefklang-Parties, erfunden und organisiert von Gero Heckmanns, seien eine Institution in der Szene. Der 38-Jährige ist wie Grothe schon lange im Veranstaltungsgeschäft. Die beiden sind in der Techno-Welt bestens vernetzt und bekannt, haben in Saarbrücken schon mehreren neuen Locations mit auf die Beine geholfen. Heckmanns war drei Jahre lang im Projekt-Team am heute abgerissenen Römerkastell, das bis letztes Jahr den Club für das Theaterfestival Perspectives konzeptionierte. Auch beim mittlerweile etablierten Silo am Osthafen waren die beiden engagiert.

Als Stadt mit einem attraktiven, hochwertigen Angebote elektronischer Musik sei Saarbrücken immer mehr gefragt, finden beide. ,,Techno ist keinesfalls tot - nur für viele unsichtbar", sagt Heckmanns, Spezialist für minimalistischen Drum 'n' Bass. ,,Wir sind Teil einer Subkultur, die mit vielen Vorurteilen behaftet ist", kritisiert er. Eins davon: Zum Rausch gehöre unbedingt auch die Droge. Klar gebe es da Probleme, aber der Mauerpfeiffer habe eine strenge Tür-Politik inklusive Körperkontrolle.

Es seien ohnehin meist die Subkulturen, die dem Etablierten als Inspirationsquellen dienten, findet Heckmanns. So will er auch den Techno verstanden wissen. Dass man nicht nur ein ,,Partyschuppen" sei, zeige das Programm, mit dem man unter der Woche ein ,,klangaffines, auch intellektuelles" Publikum bediene. Da sind zum Beispiel die ,,Hörabende”, organisiert von Roger23 alias Roger Reuter, international gefragter Saarbrücker DJ und Klang-Bastler, der auch schon mal im legendären Berliner Berghain auflegt. Zu diesen ,,inspirierenden, experimentellen Abenden” kämen bis zu 80 Leute. Zudem biete man jungen Klangkünstlern und Bands eine gefragte Plattform zum Experimentieren.

 Kein Schild weist den Weg zum Saarbrücker Techno-Club.

Kein Schild weist den Weg zum Saarbrücker Techno-Club.

Gerade sind Tim Grothe und sein Team dabei, eine Booking Agentur aufzubauen, um die ,,DJs in residence” besser vermarkten zu können. Nur den ,,mainstream” wolle und werde man nicht bedienen. Denn was wäre die Subkultur ohne scheinbar unscheinbare, aber angesagte Nischen wie den Mauerpfeiffer? Mainstream eben.

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