Was damals war und was heute ist

Saarbrücken · Mennoniten in Argentinien; Menschen, die sich selbst Briefe schreiben und der Rückblick auf eine Jugend in den späten 80ern: Blick auf die Dokus bei Ophüls heute. Asli Özarslans „Dil Leyla“, der ebenfalls anläuft, haben wir bereits am Samstag vorgestellt.

 Szene aus Ivo Zens Dokumentarfilm „Zaunkönig“. Foto: Vinca Film

Szene aus Ivo Zens Dokumentarfilm „Zaunkönig“. Foto: Vinca Film

Foto: Vinca Film

Man könnte einwenden, dass Nora Fingscheidts Film langatmig ist. Doch bringt sie Form und Inhalt gerade dadurch zur Deckung. "Ohne diese Welt" fängt das vormoderne Leben einer 700-köpfigen mennonitischen Glaubensgemeinschaft in Argentinien ein. Pferdewagen, Milchkannen und Frauen in Aufzügen und Frisuren wie aus einer niederländischen Genremalerei. Eine Kolonie, die aus der Zeit gefallen ist und eine verhärmte Sittsamkeit ausstrahlt. Fingscheidt findet einen Erzählrhythmus, so verhalten wie das alle Technik verdammende Leben dieser Bibeltreuen. Je länger man diesen leisen, nicht um Aufmerksamkeit buhlenden Film sieht, umso mehr erweist sich sein Herantasten als probates Mittel, um die stoische Alltagskonzentriertheit der Freikirchler abzubilden. Fingscheidt lässt die Gepflogenheiten für sich sprechen. Stellt, anstatt einzuordnen, den von ihr zwei Monate lang Begleiteten lieber Fragen. Lässt sie Katechismussprüche vorlesen ("Besser ins Klagehaus als ins Trinkhaus" oder "Die Abwendung von Gott ist ein Zeichen für das Ende der Welt"). Vieles bleibt offen. Deutlich wird, dass die Alten um die Zukunft ihrer Kolonie fürchten. "Wenn die Kinder ,in die Welt' gingen, das wäre das Schlimmste", sagt einer. Der Film deutet an, dass die Welt eher zu ihnen vordringt.

Heute, 12.15 Uhr: CS 2; Fr, 22 Uhr: CS 5; Sa, 10 Uhr: CS 8.

Die Idee könnte einen ganzen Film tragen. Und tut es auch eine Weile. "Schreib dir selbst einen Brief, den du schon immer bekommen wolltest", lautete ein Aushang (und Inserat) von Luise Makarov. Darauf erhielt sie über 100 Briefe. Traf die Verfasser und erbat ihre Zustimmung, sie filmisch festzuhalten. Makarovs dffb-Abschlussfilm "Liebes Ich" porträtiert eine Handvoll der Briefeschreiber. Leider verliert sie ihr Thema im letzten Drittel aus den Augen. Verloren geht die klare, dreiteilige Struktur zu Anfang: ein kurzer, atmosphärischer Spot auf die Briefeschreiber (im Falle des mit der Thermoskanne kämpfenden Detlef hat dies loriothaftes Format); deren Vorlesen ihres Briefes; als Nachhall ihre mal verlegene, mal offenherzige Reaktion. Statt dem stringenten Reihungsprinzip der angerissenen Lebensgeschichten zu vertrauen, konzentriert sich Makarov bald auf zwei Personen: ihre Schwester Anne und den Fotografen André, die sie mehrmals trifft. So verliert ihr Film seinen Dreh- und Angelpunkt und zerfleddert, sein Thema auf halbem Weg allmählich aufgebend.

Heute, 20 Uhr: CS 2; Do, 12.30 Uhr: CS 5; Sa, 14.45 Uhr: CS 4; So, 13 Uhr: CS 2.

Ivo Zens "Zaunkönig - Tagebuch einer Freundschaft" ist ein unerhört viel Lebensgefühl transportierendes, ungeglättetes Porträt seines Jugendfreundes Martin, der mit Anfang 20, nach einer exzessiven Drogenkarriere, ums Leben kam - unter im Film nicht geklärten Umständen. Martin hinterließ ein Tagebuch, das die Spur auslegt, auf der Zens berührende Annäherung psychedelische und teils verwackelte Super-Acht-Filmaufnahmen aus ihrer beider Jugendzeit in Chur mit Interviews und Impressionen mischt, die er mehr als 20 Jahre nach Martins Tod mit dessen Mutter, seiner damaligen (offenbar nicht mehr drogenabhängigen) Freundin und anderen Weggefährten führte. Eine Verknüpfung, die beides zeigt: Brüche, aber auch Korrespondenzen zwischen Damals und Heute. Lyrisch eingefärbt, erzählt "Zaunkönig" von der Suche nach Beweisen dafür, dass man lebt. Von Übermut und Absturz. Von einem magischen Dreieck aus Drogen, Bands, Liebe. Vom Hin- und Hergeworfensein. Ein sympathischer Film, der zwei Lebensperioden einfängt: die frühe von Sturm & Drang und die des Abflauens & Auslotens heute.

Heute, 17.45 Uhr: CS 5; Do, 12.30 Uhr: CS 2; Fr, 19.45 Uhr: CS 3; Sa, 17.45 Uhr: CS 5.

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