Zu Tisch mit den Toten

Saarbrücken · Quirlig und makaber beginnt heute Abend die Eröffnung im Cinestar. Virgil Widrichs Film „Der Tag der 1000 Stunden“ erzählt schwarzhumorig vom Erbstreit in einer Industriellenfamilie, bei dem nicht nur Lebende mitmischen.

 Darstellerin Amira Casar kommt heute zur Eröffnung. Foto: Amour Fou

Darstellerin Amira Casar kommt heute zur Eröffnung. Foto: Amour Fou

Foto: Amour Fou

Ein Zombiefilm zur Ophüls-Eröffnung? Naja, nicht ganz. Aber um auferstandene Tote, um Fragen wie "Kann man einen Toten überhaupt ermorden?" oder "Nekrophilie oder Inzest - was ist eigentlich schlimmer?" geht es in der Auftaktveranstaltung. Denn zur Eröffnung im Cinestar läuft heute Abend in deutscher Erstaufführung der Spielfilm "Die Nacht der 1000 Stunden" von Virgil Widrich. Und da wird quasi im Minutentakt gestorben und wiederauferstanden, zumindest am Anfang.

Der in Salzburg geborene Regisseur, Autor und Multimedia-Künstler erzählt in seinem Langfilm-Debüt eine phantasievolle schwarze Komödie im Stile alter Detektivfilme. Die spielt in einem riesigen Wiener Palais, in dem die Industriellenfamilie Ullich residiert. Dort tobt ein heftiger Erbstreit. Der junge Philip Ullich soll das traditionsreiche Unternehmen übernehmen, doch mit dem etwa gleichaltrigen Jochen Bode, dessen Familie ebenfalls Anteile besitzt, hat er einen starken Konkurrenten. Der ist aber wegen seiner rechtsradikalen Gesinnung bei seiner Mutter Erika in Ungnade gefallen. Gerade als Erika ihre Unterschrift unter den Vertrag setzen möchte, bricht sie tot zusammen. Um bald wieder lebendig am Tisch zu sitzen, als wäre nichts geschehen.

Das ist der Auftakt eines munteren Verwirrspiels, bei dem sich schon bald auch Fragen nach Raum und Zeit stellen. Denn es taucht nicht nur immer mehr Verwandtschaft auf, die eigentlich schon 1990, 1965 oder gar 1938 zu Tode kam. Sondern es marschieren auch, als wegen der mysteriösen Vorgänge die Polizei gerufen wird, ein strenger Gendarm und etliche uniformierte Gehilfen aus der Kaiserzeit auf. Und mit denen ist nicht zu spaßen.

Für eine Festivaleröffnung ist dieses ebenso quirlige wie absurde Treiben sicherlich eine gute Wahl. Es ist so ein bisschen wie beim Geburtstag eines älteren Familienmitgliedes; wenn Großvater oder Großmutter dann erzählen, wie es früher war, als ihre Eltern und Großeltern noch gelebt haben. Mit dem Unterschied, dass in "Die Nacht der 1000 Stunden" diese Menschen dann plötzlich quicklebendig mit am Tisch sitzen und von ihrem angeblichen Tod ("Du kannst nicht hier sein, ich war doch bei deinem Begräbnis!") überhaupt nichts wissen wollen. Was dann zuweilen zu weiteren köstlichen Dialogen führt: "Ich suche Beweise, ich will meinen Totenschein sehen."

Für Regisseur Widrich steht das Bild des Jüngsten Tages auch dafür, "dass es Ideen gibt, die einfach nicht sterben wollen". Und er spielt mit seinem Film auch darauf an, dass in der heutigen Zeit in etlichen Ländern Personen und Parteien am Werk sind - oder gerade ihre Arbeit aufnehmen - die im Streben nach Macht und Geld die Freiheit und die Demokratie in Gefahr bringen.

(Luxemburg, Österreich, Niederlande 2016, 92 Minuten)

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