Eine neue Grammatik der Gewalt?: Herfried Münkler über Krieg heute

Saarbrücken · Herfried Münkler, der an der Berliner Humboldt-Universität Politikwissenschaft lehrt, stellt heute in Saarbrücken sein Buch „Kriegssplitter“ vor. Münkler vertritt darin einmal mehr die These, dass Kriege heutzutage asymmetrisch geführt werden. Anlass für Münklers Vortrag ist die derzeit in der Stiftung Demokratie zu sehende Ausstellung „At War“. Sie zeigt in Bürgerkriegsgebieten entstandene Fotos der 2014 erschossenen Fotografin Anja Niedringhaus.

"Die Angst vor einem großen Krieg ist nach Europa zurückgekehrt", konstatiert der renommierte Politologe Herfried Münkler am Anfang seines zuletzt erschienenen Buches "Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert." Darin versucht der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Münkler die widersprüchlichen Entwicklungen nachzuzeichnen, "die einerseits Zonen eines stabilen Friedens hervorgebracht haben und andererseits zur Entstehung eines den Globus umspannenden ,Gürtels' diffuser Kriege geführt haben".

In Zeiten hybrider Kriege - so der von Münkler favorisierte und bereits in seinem Buch "Die neuen Kriege" (2002) eingeführte Terminus - sei die alte Unterscheidung zwischen Krieg oder Frieden schlichtweg obsolet. Entstaatlichung, Asymmetrisierung und Demilitarisierung lauteten heute die Paradigmen des so genannten Neuen Krieges. Eines Krieges, der von substaatlichen Akteuren ohne Gewaltlegitimierung und ohne offizielle Kriegserklärung in den zwei großen, postimperialen Räumen vom Westbalkan bis zum Kaspischen Meer (mit der Ukraine in der Mitte) und von der Levante (in dem Fall: Syrien und Nordirak) bis zum Indischen Ozean (Jemen) bzw. von Mesopotamien bis zur Libyschen Wüste (mit der Türkei und Israel) geführt wird.

Diese fragilen, postimperialen Räume an den Rändern Europas will Münkler als Folgen der beiden Weltkriege verstanden wissen, in denen immer noch ein "heroischer Geist" - ein immer wieder bei Münkler auftauchender Begriff - herrsche. Akribisch rekapituliert er für seine Argumentation die großen Kriege des 20. Jahrhunderts und deren Folgen. Der Erste Weltkrieg führte zum Sieg des nationalstaatlichen über das imperiale Ordnungsmodell, gingen doch die drei multinationalen Imperien (das Habsburger-, das Zaren- und das Osmanische Reich) mit ihm unter. Wie schon in früheren Büchern schreibt Münkler gegen den in seinen Augen "Mythos der deutschen Alleinschuld am Ersten Weltkrieg und gegen den Zwang zur herrschenden Meinung" an.

Am Ende der "Urkatastrophe des 20. Jahrhunders" hatten sich gemäß Münkler die ehemals "heroischen Gemeinschaften" nach 1918 zu postheroischen Gesellschaften entwickelt, die dann von Hitler, Stalin und Mussolini erneut "heroisiert" worden seien. Erst mit dem Ende des 2. Weltkriegs - und der durch die Shoa vor Augen geführten "Entsublimierung des Opfers" - habe sich das Heldentum dann endgültig erledigt gehabt, zumindest in Europa. Was laut Münkler dort einen Lernprozess in Gang setzte, der wiederum die Voraussetzung für den Frieden in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist. Münkler betont, dass die akute Verwundbarkeit der westlichen Gesellschaften gleichwohl nicht zu beseitigen und dass Europa im permanenten Kleinkrieg um das Fluide (Flüchtlinge, Daten, Waren) schlecht aufgestellt sei.

Europa (insbesondere Deutschland) müsse endlich politisch handeln und den Nahen Osten stabilisieren, um eine europäische Katastrophe und neoimperiale Träume von Erdogan und Putin zu verhindern.

Herfried Münkler: Kriegs splitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert. Rowohlt Berlin, 400 S, 24,95 €.

Vortrag heute, 18 Uhr, in der Akademie der Stiftung Demokratie Saarland (Europaallee 18, Saarbrücken). Der Eintritt ist frei.

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