Tauchen im Bewusstseinsstrom

Saarbrücken · Ein besonderes Gastspiel in der Saarbrücker Sparte 4: Am Samstag gibt Barbara Nüsse, eine der Größen der deutschen Bühne, einen Monolog aus James Joyces „Ulysses“, für die Darstellerin „ein toller Text voll irrsinniger Komik“. Wir sprachen mit Nüsse über ihre Kunst.

 Vor 30 Jahren gab Barbara Nüsse den „Penelope“- Monolog – und spielt ihn nun seit einigen Jahren wieder. Foto: Krafft Angerer

Vor 30 Jahren gab Barbara Nüsse den „Penelope“- Monolog – und spielt ihn nun seit einigen Jahren wieder. Foto: Krafft Angerer

Foto: Krafft Angerer

Es fällt schwer, bei diesem Gastspiel nicht tief in die Kiste mit den Superlativen zu greifen. Die Sparte 4, die kleinste Spielstätte des Saarländischen Staatstheaters, bietet am Samstagabend eine höchst interessante Aufführung. Mit Barbara Nüsse gibt dort eine der renommiertesten deutschsprachigen Theaterschauspielerinnen einen zweistündigen Soloabend; interpretieren wird sie den Monolog der Molly Bloom, das Schlusskapitel von James Joyce Wälzer "Ulysses" . Der Roman, der einen Tag im Leben des durch Dublin irrenden Iren Leopold Bloom schildert, gilt durch die Einführung des Bewusstseinstroms als literarisches Stilmittel als einer der wichtigsten Klassiker der Weltliteratur - und als einer der am wenigsten Gelesenen. Genüsslich erzählt Nüsse daher im SZ-Gespräch, wie ihre Hamburger Buchhändlerin sie fragte: "Wie oft haben sie den denn jetzt schon gespielt? Die Leute kommen alle und wollen den Ulysses kaufen und sagen: So schwer ist der wohl gar nicht."

Es sei ein toller Text, voll irrsinniger Komik, schwärmt Nüsse. "Ich habe noch nie einen so tollen Text auf der Bühne gesagt." Das will was heißen. Immerhin spielt Nüsse seit Mitte der 1960er Jahre Theater, an so ziemlich allen großen Häusern von München, über Zürich, Stuttgart, Bochum, Köln, Berlin bis Hamburg. Kein großes Werk der Theaterliteratur, so scheint es beim Blick in ihre Biografie, in dem die Charaktermimin noch nicht die Titelrolle übernommen, kein Regisseur der ersten Garde, mit dem sie noch nicht gearbeitet hat.

Aber der Joyce-Text, in dem Molly am Ende eines Tages auf die Rückkehr ihres Gatten wartet, sei natürlich doch schwierig, sagt Nüsse. Weil er ohne Punkt und Komma geschrieben und voller Gedanken- und Zeitsprünge sei. Da müsse man sich dann schon sehr intensiv einlesen, um als Darsteller die Zusammenhänge zu erkennen, zu denken und zu fühlen. Leicht werde es dann nur für den Zuhörer, "denn man liefert die Zusammenhänge ja mit".

Molly und der Sex

Wegen seiner Freizügigkeit wurde "Ulysses" nach Erscheinen der ersten Kapitel 1918/1918 in England und in den USA verboten. Wie offen Molly über Sex, ihre diversen Liebschaften und Männer spricht, lässt den Text heute noch sehr modern wirken, findet auch Nüsse. Als Kind des Ruhrgebiets, sie wurde 1943 in Essen geboren, kommt es ihr entgegen, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Erstmals gab sie "Penelope", so der Titel des Monologs, der wie der gesamte Roman auf Homers Odysseus-Epos anspielt, 1986. Auf Bitten der Ruhrfestspiele nahm sie ihn, erneut unter der Regie von Ulrich Waller, vor ein paar Jahren wieder auf. Doch sie steigt nicht zweimal in den gleichen Fluss. Den Altersabstand wollte sie nicht kaschieren. Und so entschieden sich Waller und Nüsse, die erste Fassung quasi als Erinnerungsbild mit einzubauen.

Während viele Schauspielerinnen schon ab 40 klagen, keine Rollen mehr zu bekommen, ist Nüsse, seit der Spielzeit 2010/2011 Ensemblemitglied des Hamburger Thalia-Theaters, ungebrochen aktiv. "Ich spiele unentwegt Männerrollen", erzählt sie lachend. In den neueren Stücken, wie den Textflächen von Elfriede Jelinek, sagt sie, komme es auch nicht mehr drauf an, ob man Mann oder Frau, jung oder alt sei.

Als Karin Baier 2009/2010 erstmals den Shakespeare-König Lear mit einer Frau, mit Nüsse besetzte, waren die Kritiker so hin und weg, dass Nüsse dafür den Gertrud-Eysold-Ring erhielt. Das war der Eisbrecher. Es gebe manche Stücke, wie "Draußen vor der Tür", da habe sie bis auf den Beckmann schon alle Männer gespielt, sagt die Schauspielern. Auch in Luk Percevals Zola-Trilogie, deren dritter Teil bei der diesjährigen Ruhrtriennale Premiere feiern wird, trägt Nüsse Hosen. So ausgiebig kennt man Herrenpartien sonst nur von Katharina Thalbach. Ob es an der Kraft, Energie und Direktheit liegt, die sie beide ausstrahlen? "Es muss auch das Interesse, die Neugier da sein, sich Neues zu erschließen", ist sie sich auf jeden Fall sicher. Und davon hat diese große alte Dame, merkt man selbst bei einem kurzen Telefonat mit ihr, reichlich. Käme sie sonst den weiten Weg nach Saarbrücken?

Gastspiel nur an diesem Samstag um 20 Uhr in der Sparte 4. Es gibt noch Karten. Infos unter www.sparte 4.de und Tel. (06 81) 309 24 86.

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Zur Person Barbara Nüsse, 1943 in Essen geboren, gehörte dem Bayerischen Staatsschauspiel an, dem Deutschen Schauspielhaus Bochum und dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Sie spielte ebenso die "Minna von Barnhelm" wie den "König Lear" und trat auch im Fernsehen auf: in Heinrich Breloers "Das Beil von Wandsbek" etwa, in "Bella Block", "Tatort" und auch in "Mord mit Aussicht". Seit sechs Jahren ist sie Ensemblemitglied des Thalia Theaters in Hamburg. red

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