Ergreifende Rätselhaftigkeiten

Saarbrücken · Ins offene Rund einer Zirkusarena führt Regisseur Ben Baur seine „Katja Kabanowa“. Die Sänger, allen voran Susanne Braunsteffer in der Titelpartie, setzen Glanzlichter, Baur einige Fragezeichen.

 Szene mit Carolin Neukamm (links) und Susanne Braunsteffer in der Titelpartie. Foto: Thomas Jauk

Szene mit Carolin Neukamm (links) und Susanne Braunsteffer in der Titelpartie. Foto: Thomas Jauk

Foto: Thomas Jauk

Wenn sich der Vorhang hebt, ist man erst einmal enttäuscht: Ein russisches Dorf in der Provinz hat man erwartet, etwa so, wie Chagall es malte, mit blauen und grünen Häusern, einer Katze und einem Geiger auf dem Dach. Stattdessen das kahle Bühnenhaus und ein Mensch im Lendenschurz, der sich am Boden windet. Dann fährt hinten die Welt ins Bild, Zirkusmenschen bevölkern die Bühne, betrachten den Mann im Lendenschurz. Einer, die Kippe im Mundwinkel, schaufelt gleichmütig Erde über ihn.

Statt der dumpfen Enge einer russischen Kleinstadt das offene Rund einer Zirkusarena - dieser Grundgedanke des Regisseurs Ben Baur für seine Saarbrücker Inszenierung von Leos Janáceks Oper "Katja Kabanowa" prägte nicht nur das von ihm entworfene Bühnenbild und die Kostüme (Uta Meenen), sondern auch den Stil dieser Aufführung. Da gab es Rätselhaftes - etwa Figuren, die ohne Funktion umhergeistern. Da gab es Ironie, wenn Kudrjasch eine Schüssel mit Wasser betrachtet und von der Schönheit der Wolga schwärmt. Vor allem aber gab es Sänger, die auf beeindruckende Weise mit ihren komplizierten, vom Komponisten der tschechischen Sprache abgelauschten Partien fertig wurden. Allen voran Susanne Braunsteffer, der es in der Titelrolle überzeugend gelang, sie mit Kraft und Leidenschaft zu erfüllen, aber auch den zarten und innigen Momenten gerecht zu werden. Die den Kontrast zwischen religiöser Schwärmerei und erotischen Fantasien, zwischen Liebe und Schuldgefühlen stimmlich und darstellerisch mit erschreckender Intensität deutlich machte; packend ihre großen Soloszenen.

Ihre große Liebe Boris (Michael Bedjai), eigentlich ein noch nicht volljähriger Jüngling, zeichnete seine Rolle stattdessen als reifer Mann mit fast italienischem Timbre. Ganz anders, aber nicht minder großartig, wie Judith Braun als Kabanicha die Szene beherrschte, zwischen klein städtischer Bigotterie und peitschenknallendem Domina-Gestus changierend. Ein Neuzugang im Ensemble, Carolin Neukamm, sang mit reizvollem Timbre und technischer Souveränität die lebenslustige Barbara, die mit dem gescheiten Kudrjasch (Carlos Moreno Pelizari, dessen einfältiges Liedchen ein Höhepunkt wurde) dem problematischen Paar Katja/Boris ein sorgloses gegenüberstellte, das vergnügt den Augenblick genießt. Als Einzige bringen sie es fertig, aus diesem zirzensischen Panoptikum ins "fröhliche Moskau" zu fliehen. Weitere Glanzleistungen: Tichon (Algirdas Drevinskas mit gewohnter stimmlicher Sicherheit) als schwacher Ehemann und noch schwächerer Sohn, der dumm-anmaßende Dikoj (Roman Astakhov) als "alter Kettenhund", wie der kunstsinnige Spötter Kuligin (Julian Younjin Kim) ihn nennt, dazu die Mägde Glascha und Fekluscha mit ihren nicht einfachen Partien, als Zwillinge gewandet (Katharina Hermanns und Hannah Meyer).

Aber: Dass mancher Regieeinfall nur halbherzig verfolgt wurde - so der Käfig, in den man Katja sperrte (und den sie bald wieder mühelos verließ), oder das riesige Kreuz, mit dem sie sich vor den eigenen Trieben zu schützen versuchte - , war weniger auffällig als der Verzicht auf ein wichtiges Stichwort: "Gewitter" heißt das Drama von Ostrowski, das Janácek zu dieser Oper inspirierte. Eine Gewitterszene spielt eine große Rolle und wird im Libretto als "elek trischer Ausgleich" definiert. Das ist natürlich eine Metapher für den erotischen Spannungsausgleich, den Katja, aber auch ihre Mitspieler suchen. - Schön rätselhaft dann das Schlussbild, das an die seltsame Anfangspantomime anknüpft und auch als Raffael-Zitat verstanden werden konnte: als Kreuzabnahme.

Nicholas Milton und das Staatsorchester setzten die "nervöse" Musik Janáceks mit spürbarer Anspannung um, boten aber stimmungsvolle und hochdramatische Momente. Der Chor (Einstudierung in gewohnter Qualität: Jaume Miranda), gemäß Janáceks Anweisung hinter der Bühne "wie ein Seufzer" singend, hatte hohen Anteil am ergreifenden Schluss, der auch den Beifall prägte.

Nächste Aufführungen am 20.1.; 1.,11. und 19. Februar.

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