Ein Saal, der keinen Fehler verzeiht

Hamburg · Blitzlichter, Medienauftrieb und viel Prominenz haben die Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg begleitet. Das Eröffnungskonzert am Mittwochabend war ein Ohrenschmaus, der die akustische Brillanz des Saals demonstrierte.

"Ab heute ist Hamburg eine Weltstadt!" So direkt und marktschreierisch hätte es Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) selbst natürlich nie formuliert. Und doch war die Ankündigung, die "Germany's Next Topmodel"-Coach Jorge González da im Blitzlichtgewitter auf der Elbphilharmonie-Plaza in die Mikros plapperte, insgeheim eben jene Botschaft, die sich der oberste Hanseat erhofft: So könnte man in der internationalen Wahrnehmung endlich aus dem Schatten Münchens, Frankfurts und Berlins heraustreten. Und so schwärmte Scholz am Eröffnungs-Abend der Elbphilharmonie vor den 2100 Gästen im Großen Saal von der "Sinfonie aus Stein und Glas" und von dem "unübersehbaren Zeichen für die Bedeutung, die Kunst und Kultur zukommt" in der Hansestadt.

Bei solch eher unhanseatischer Selbstverliebtheit blieb es danach dem Bundespräsidenten überlassen, die Hamburger wieder ein wenig auf den Boden zurückzuholen. "Ich habe so viel gelesen, von den Sorgenkindern Hamburgs: HSV, St. Pauli doch jetzt ist Elphi aufgewacht", meinte Joachim Gauck schmunzelnd. Und vergaß nicht, an die Albträume und Blamagen der 15-jährigen Entstehungsgeschichte zu erinnern, die am Ende den Steuerzahler 789 Millionen Euro gekostet habe. Und so war sein Wunsch denn auch zugleich Mahnung an künftige Politikergenerationen: "Diese unglaubliche Schöne ist eine Verpflichtung. Machen Sie gemeinsam das Beste daraus."

Letzteres blieb am Eröffnungsabend vor allem dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter Thomas Hengelbrock vorbehalten; sie machten zum Auftakt ungewollt den akustischen Fluch wie Segen des Konzerthauses mit seinen terrassenförmig ansteigenden Emporen deutlich: Die gnadenlos makellose Akustik verzeiht auch nicht den allerkleinsten Fehler. Und von letzteren gab es einige in Beethovens "Prometheus"-Ouvertüre. Was vielleicht auch ein wenig dem Lampenfieber geschuldet war; schließlich bedeutete solch eine Rampenlicht-Erfahrung für die NDR-Musiker und ihren Chefdirigenten den Aufstieg in eine neue Dimension der Aufmerksamkeit. Bei Mendelssohn und Brahms hatte sich das Orchester dann wieder gefangen und spielte beim sich an den Festakt anschließenden eigentlichen Eröffnungskonzert seine Stärken aus. Der akustische Zauber der aus 10 000 einzelnen Gipsplatten modellierten "weißen Haut" dürfte die Elbphilharmonie tatsächlich in die ersehnte Liga der weltbesten Konzerthäuser bringen: Als etwa NDR-Solo-Oboist Kalev Kuljus Brittens "Pan" aus dessen "Metamorphosen nach Ovid" irgendwo in den oberen Etagen anstimmte, war jeder seiner makellos weichen Töne überall glasklar zu vernehmen. Die eigentliche Uraufführung geriet da ein wenig ins Hintertreffen: Wolfgang Rihms 20-minütige Hans Henny Jahnn-"Reminiszenz" belässt es beim nachtdunklen Grollen und Wogen - danach war nun wirklich keinem zumute. Eher schon nach Beethovens finaler "Ode an die Freude", wo noch einmal die Klangmassen den Raum fluten durften.

Allerdings auch klar machten, dass bei aller Begeisterung über die instrumentale Trennschärfe, über den ebenso transparenten wie warmen Klang auch ein Akustik-Meister wie Yasuhisa Toyota keine Wunder vollbringen kann: Wer im Rücken oder seitlich der Sänger sitzt, für den bleibt auch in der Elbphilharmonie die Textverständlichkeit schlecht.

Und doch wird das von Architekt Jacques Herzog nach dem Weinberg-Prinzip gebaute Konzerthaus mit seinen vielen Ebenen, Treppen, Ein- und Aufgängen Geschichte schreiben; nicht zuletzt als Tempel für Architekturbegeisterte, verströmt der Bau doch eine große Wertigkeit ob seines speziellen Designs bis hinein in die Künstlergarderoben. Und wahrt zugleich eine erstaunlich intime Atmosphäre, denn die in ihren Proportionen diskret wirkenden, sich bis fast an die Spitze des gewaltigen Reflektors windenden Sitzblöcke garantieren nicht nur eine kammermusikalische Nähe zu den Künstlern, sondern auch der Besucher untereinander. Auch dies ein kleines, großes Wunder der Baukunst.

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