Spion und Gentleman

Saarbrücken · Wer die große Autobiografie des geistreichen Thrillerautors erwartet, wird enttäuscht. Lesenswert ist John Le Carrés Rückblick auf sein Leben dennoch.

John Le Carré hatte seinen Dienst beim britischen Auslandsgeheimdienst lange quittiert, als er 1987 als Gast des Schriftstellerverbandes der UdSSR erstmals nach Moskau reiste. Dort wurde er auf Schritt und Tritt von zwei KGB-Wachhunden beschattet. Nach einem rauschenden Abend im Haus des Regimekritikers Arkadi Vasberg fand Le Carré nicht mehr ins Hotel zurück. Da fielen ihm seine Bewacher auf einer Parkbank auf. Er fragte sie, ob sie ihn begleiten könnten. Sie taten es.

Ein paar Tage später entdeckte er sie am Ecktisch eines Restaurants, in dem Le Carré mit seinem 20 Jahre jüngeren Bruder Rupert speiste, damals Leiter des Moskauer Büros der britischen Zeitung "Independent". "Da mich ihre missliche Lage rührte, bat ich einen Kellner, den beiden eine Flasche Wodka zu bringen, und sah ostentativ weg. Als ich wieder zu ihnen hinüberschaute, war die Flasche nirgendwo zu sehen, doch als wir aufbrachen, folgten die beiden dem falschen Bruder nach Hause." Anekdoten wie diese machen Le Carrés "Taubentunnel" lesenswert. Wer die große Autobiografie erwartet hat, wird enttäuscht. Le Carré holt nicht weit aus, er erzählt, wie es im Untertitel richtig heißt, Stories aus seinem Leben. "Ich habe versucht, einen ordentlichen Pfad durch mein Leben zu schlagen, wenn schon nicht chronologisch, dann zumindest thematisch, doch wie das Leben so spielt, verzweigt sich der Pfad in alle möglichen unvorhergesehenen Richtungen."

Ein richtiges Konstruktionsprinzip liegt dem Buch ebenso wenig zugrunde wie eine echte Dramaturgie. Manchmal liest es sich wie eine Kolumnensammlung. Was schade ist. Denn zu erzählen hat John Le Carré jede Menge. Um dem Einfluss seines Vaters zu entfliehen, lief er aus der Privatschule davon und nahm die "deutsche Muse" als Ersatzmutter an. Die "Hingabe an die deutsche Literatur" kam ihm nach dem Germanistikstudium zunutze, als er sich 1960 für den britischen Auslandsgeheimdienst im "blöden Bonn" in deutschen Ämtern auf die Suche nach Altnazis machen sollte. Damals begann seine Karriere als Autor. Die strengste Anleitung zum Schreiben von Prosa habe er durch humanistisch gebildete Beamte im obersten Stock des MI 5 bekommen: "Keiner der Lektoren, mit denen ich seitdem arbeitete, stellte jemals so hohe, so berechtigte Anforderungen."

Das liest sich alles nett, auch wenn nicht mehr jede Pointe des 85-Jährigen sitzt, der 1931 als David John Moore Cornwall 1931 geboren wurde. Am liebevollsten ist das längste, dem Vater gewidmete Kapitel, der "Hochstapler, Phantast, immer wieder mal Knastbruder" war. Die Gebühren für die Privatschule des Filius' konnte der Vater nicht aufbringen, also versorgte er Lehrer mit Feigen und Bananen vom Schwarzmarkt. Seinen Kopf verpfändete er gegen 50 Pfund an die medizinische Forschung. Als der Sohn als Autor Erfolge feierte, orderte er beim Verlag ein Dutzend Bücher und schrieb stolz hinein: "Signiert vom Vater des Autors."

John Le Carré: Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben. Ullstein, 384 S., 22 €.

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