Sieht man nur, was man sehen will?

Saarbrücken · In den 70er Jahren brachte das Schreckensregime von Pol Pots Roten Khmer 1,6 Millionen Kambodschanern den Tod. Ein performativer Abend in der Sparte 4 mit der Schauspielerin Anne Hoffmann erinnerte daran, wie auch an das damalige Versagen eines Teils der Linken in Europa.

Hätten sie es nicht sehen können, ja müssen? Das ist die - durchaus moralische - Leitfrage, die sich wie ein roter Fragen durch diesen Donnerstagabend in der Sparte vier zieht. Darin geht es um die Blindheit einer linken schwedischen Delegation, die sich 1978 nach Kambodscha begab und lauter lachende, glückliche Menschen wahrnahm. Wie konnten sie nur so blind sein und nicht sehen, dass Pol Pot und seine Roten Khmer statt eines gerechten Bauernstaats ein Terrorregime anführten, dem ein Viertel der Bevölkerung zum Opfer fiel?

Das recherchierte der Journalist Peter Froberg Idling, in seinem literarischen Reisebericht "Pol Pots Lächeln", den Schauspielerin Anne Hoffmann und Regisseurin Ruth Messing zur Grundlage für ihren performativen Abend gleichen Titels nahmen. Er gelingt nicht zuletzt wegen des Verzichts auf jede Hinterher-ist-man-immer-schlauer-Überheblichkeit. So wie Idling in seinem Buch lassen sie viele Stimmen und Perspektiven zu Wort kommen. Auch die Form, mit der sie Licht ins Dunkel bringen wollen, überzeugt: Hoffmann lässt sich auf der nachtschwarzen Bühne von Moritz Frei mal von nackten Glühbirnen, Taschen-, Stirn- oder auch Stehlampe erhellen, während sie in diversen Rollen schlüpft. Sie wird zum Reisbauern, der von der Einfachheit, Brüderlichkeit Pol Pots schwärmt; zum Delegationsmitglied, das eingesteht, das man nicht nachfragte, was aus verschwundenen Personen wurde, die einem sogar nahestanden.

Zu loben ist auch, wie Hoffmann und Messing es geschafft haben, die 370 Seiten Idlings "einzudampfen" und gleichzeitig die Informationen über die damalige Zeit so einzubringen und zu verteilen, dass man auch ohne Vorkenntnisse im Bilde ist. Ohne dass es nach Lexikon-Vortrag klingt. Was den Abend aber erst richtig spannend macht, ist, dass Hoffmann sich mit ihrem eigenen Ich und der Geschichte ihrer Eltern und deren Weggefährten einbringt. Denn nicht nur die schwedische Linke bejubelte Pots Kampuchea als "Inspirationsquelle für die Völker der Welt", sondern auch der maoistische Kommunistische Bund Westdeutschlands. Dessen Umgang mit den "kognitiven Dissonanzen" reflektiert sie in wechselnden Rollen zuerst selbst, um dann die authentischen Stimmen aus dem Off einzuspielen.

Neben all dem gezeigten Rum eiern und viel Ratlosigkeit kommt die Auseinandersetzung mit den eigenen autoritären Strukturen zwar etwas zu kurz. Was aber zurückbleibt, ist die tatsächliche Unübersichtlichkeit der Lage, die man heute etwa im Syrien-Konflikt erlebt. Insofern bot der Abend auch viel produktiven Stoff für die anschließende Diskussion in der ausverkauften Sparte vier. Für Hoffmann war es ein mehr als erfolgreiches Heimspiel, denn die Wahlberlinerin stammt von hier.

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