Masurens Magie & Krakaus Krake: Hans Bollingers alte Liebe Polen

Saarbrücken · In einem sehr persönlich gefärbten Buch hat Hans Bollinger seine 40 Jahre umspannenden Erinnerungen an Polen niedergelegt.

Man kennt Hans Bollinger hierzulande nicht nur als Initiator der seit zwei Dekaden bestehenden trinationalen "Begegnungen auf der Grenze" in Reinheim-Bliesbruck, mit denen er einen künstlerischen Brückenschlag zwischen Frankreich, Deutschland und seiner alten Liebe Polen versucht. Und Autoren wie Barbara Honigmann, Andrzej Stasiuk, Andrzej Szczypiorski, Christoph Peters oder Georges-Arthur Goldschmidt hergeholt hat. Auch kennt man ihn als einen der Köpfe des durch seine Vertonung jiddischer Lieder bekannt gewordenen saarländischen Trios "Espe". Dazu weiß, wer Bollinger nur ein wenig kennt, wie ihm Polen ans Herz gewachsen ist: 1976 hat er dort seine Frau Krysia geheiratet, die er kurz zuvor im Saarland kennengelernt hatte, wo sie Jugendfreunde Bollingers besuchte.

Im Eingangskapitel von "Unterwegs in Polen", dem besten des Bandes, zeichnet er nicht nur die kuriosen, bürokratischen Umstände seiner Hochzeit nach. Bollinger gelingt auch ein fein beobachtetes, winterliches Zustandsbild des damaligen Polen - seiner Mangelwirtschaft und Bräuche, der Schlangen vor spartanisch eingerichteten Läden, der rußgeschwärzten Straßen. Dazu geben diverse Einsprengsel eine Ahnung von der inneren Zerissenheit der in den Kriegen dieses Jahrhunderts zwischen Deutschland und Polen infolge willkürlich gezogener, immer neuer Grenzverläufe zwangsassimilierten Schlesier.

Doch je länger man in dem mit Fotos seiner Polen-Reisen durchzogenen Band liest, umso kursorischer und inkonsistenter werden diese Erkundungen - und büßen ihren anfänglichen, detailreichen Kolorit ein. Weil dem Band die ordnende Hand eines Lektors fehlte? Symptomatisch ist Bollingers Liebeserklärung an Krakau: Man erfährt wenig über diese Stadt, obschon er sie über 40 Jahre hinweg wiederholt besucht hat. Als er in den 70ern kam, atmete sie noch die alte Zeit, "ein Hauch vom alten Paris gepaart mit Wiener Charme". Deutlich wird lediglich, dass Krakau nach der Westöffnung schleichend von der "Krake Konsum" überzogen wurde und sich jene Magie alter Kultur- Traditionen, derer Bollinger dereinst noch teilhaftig wurde, mehr und mehr verflüchtigt hat.

Förstern, Holzschnitzern, Bauern, Pfarrern und Köhlern, aber auch wilden Bären und brunftigen Hirschen begegnet Bollinger; er entdeckt in entlegenen Wäldern jüdische Massengräber und die an ihre Ermordung erinnernden Denkmäler; er besingt die Weite und Einsamkeit Masurens; er bedauert das Verschwinden von Pferdegespannen und Strohgarben; er rühmt die - nein, nicht immer nur fette - polnische Küche (ob Piroggen, Tatar oder Wild); er fängt einen Besuch bei Polens großem Autor Andrzej Stasiuk ein oder streut historische Erläuterungen in seine Impressionen ein. Nett erzählt ist das, doch oft allzu vordergründig. Denn Zusammenhängendes über Polens Kultur, Mentalitäten und den dort grassierenden Rechtskonservatismus erfährt man leider nicht.

Hans Bollinger: Unterwegs in Polen. Begegnungen mit Menschen, ihrer Geschichte und Heimat. Geistkirch, 176 S., 19,80 €.

Lesung am Mittwoch (19.30 Uhr) in der Stadtbücherei St. Ingbert.

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