. . . was aber bleibt, sind die Gefühle

Saarbrücken · So unverblümt Daniela Flemming in „Neun Jahre mit Doris“ die Demenzerkrankung ihrer Tante Doris Seck nachzeichnet, die jahrzehntelang für unsere Zeitung schrieb: Nie läuft Flemming dabei Gefahr, indiskret zu werden. Ihr Erfahrungsbericht lehrt nicht alleine betroffene Angehörige manches über den Umgang mit Demenzkranken.

 Doris Seck (1923-2015) hinterlässt mehrere Bücher über das Saarland und Saarbrücken. Foto: B & B

Doris Seck (1923-2015) hinterlässt mehrere Bücher über das Saarland und Saarbrücken. Foto: B & B

Foto: B & B

Vielleicht lag dieses Buch nahe. Hatte Daniela Flemming doch gerade einen Ratgeber für Angehörige Demenzkranker abgeschlossen, als sie 2006 von ihren Geschwistern dazu gedrängt wurde, sich um ihre "immer deutlicher Anzeichen auffälliger Vergesslichkeit" zeigende, alleinstehende Tante zu kümmern. Was sie als Betreuerin in den folgenden Jahren erlebte, hat Flemming notiert und nun in dem Buch "Neun Jahre mit Doris" gebündelt. Darin dokumentiert sie - ohne jeden literarischen Anspruch - die letzten Lebensjahre der Journalistin Doris Seck, die jahrzehntelang für die "Saarbrücker Zeitung" schrieb. Regionalgeschichtlich konnten "ds", wie ihr Kürzel war, nur wenige das Wasser reichen, wovon auch mehrere von Doris Seck verfasste oder herausgegebene Bücher zur hiesigen Kriegs- und Nachkriegszeit Zeugnis ablegen.

Wie sehr Doris Seck unter ihrer beginnenden Demenz litt, zeichnet Flemmings Buch nach. Unbeantwortet bleibt, ob sie ihre Einwilligung zur Veröffentlichung ihres späten Schicksals gab. Doch läuft die examinierte Altenpflegerin Flemming, so unverblümt sie Doris Secks Demenzerkrankung nachzeichnet, in ihren tagebuchartigen Notizen nie Gefahr, indiskret zu werden. Liebevoll schildert sie, wie ihre Tante anfangs "offensichtliche Fehlleistungen einfach wegwischte" und ihre Autarkie so lange wie möglich aufrechtzuerhalten suchte.

Die Qualität des Buches liegt vor allem darin, aus erster Hand tiefe Einblicke in die Schwierigkeiten der gesamten Alltagsorganisation (nebst der damit verbundenen rechtlichen Aspekte von der Kontovollmacht bis zur amtsrichterlichen Betreuung) zu geben, ohne zugleich die Gewissensnöte und Mühsal pflegender Angehöriger zu verschweigen. So thematisiert die jahrelang zwischen ihren Wohnsitzen La Palma bzw. Göttingen und Saarbrücken hin und her pendelnde Flemming wiederholt, wie schwer ihr die Abgrenzung fiel, das Nicht-aus-den-Augen-Verlieren eigener Bedürfnisse.

Die Auflösung des Hausstandes der Tante; ihr Umzug in ein Saarbrücker Altenwohnstift; die Abwicklung der "gesammelten Betrugsmanöver" von dritter Seite (aufgenötigte Handyverträge, Zeitschriftenabos, Versicherungen); die ausbleibende Anerkennung von Flemmings "Tantenbetreuung"; das Ordnen des Papierwusts; die Krankheitsschübe und Stimmungswechsel der Tante; der Kampf um Pflegestufen; der Missbrauch Demenzkranker als "Wahlberechtigter" (wozu man ihnen Wahlkabinen ins Altenheim bringt): All das breitet Flemmings Pflegebericht ohne Larmoyanz aus. Als Essenz einer "verantwortungsvollen Demenzpflege" notiert sie einmal den Satz "Der Geist schwindet, was aber bleibt, sind die Gefühle."

Das Buch der Nichte nimmt der Tante nicht deren Würde. Auch da nicht, wo es den progressiven Verlauf der Erkrankung schildert und zuletzt den Abschied Doris Secks aus ihrer geliebten Heimatstadt Saarbrücken im Zuge ihrer Verlegung in ein Göttinger Pflegeheim. Dort ist sie am 10. Februar 2015 im Alter von 91 Jahren gestorben. Zurück blieben ihre Bücher und Fotoalben, ihr Lieblingssessel, eine Kiste mit Fastnachtsorden der passionierten Karnevalistin Doris Seck - und die Erinnerung an eine zierliche, jedoch entschiedene saarländische Journalistin.

Daniela Flemming: Neun Jahre mit Doris. Conte Verlag, 192 Seiten, 14,90 €.

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