Germania contra Marianne

Bonn · „Die ganze Geschichte von Europa liegt in diesem Fluss“, schrieb Victor Hugo. Was damit gemeint ist, spiegelt eine kulturhistorische Schau in der Bonner Bundeskunsthalle. Rund 300 Exponate werden aufgeboten.

 Moritz von Schwinds Gemälde „Vater Rhein“ aus dem Jahr 1848. Foto: © Raczyñski-Stiftung am Nationalmuseum in Poznañ

Moritz von Schwinds Gemälde „Vater Rhein“ aus dem Jahr 1848. Foto: © Raczyñski-Stiftung am Nationalmuseum in Poznañ

Foto: © Raczyñski-Stiftung am Nationalmuseum in Poznañ

Was könnte dieser Fluss nicht alles erzählen. An seinen Ufern standen sich Römer und Germanen gegenüber, haben sich Deutsche und Franzosen über Jahrhunderte bekriegt. Hier sind Klöster und Dome, Residenzen und Festungen errichtet worden. Als Kulturlandschaft hat er Dichter und Maler angezogen. Die Reben fühlten sich an seinen Gestaden immer schon wohl, was später auch für die Chemie-Industrie galt. Bis zur Umweltkatastrophe war es dann nur noch ein kurzer Weg. Da der Fluss schweigt, erzählt jetzt eine Ausstellung die Entwicklung des Rheins - dem so genannten Schicksalsstrom, ein Wasserlauf mit vielen Gesichtern und ein Kulminationspunkt wichtiger Etappen der europäischen Geschichte.

All dies vergegenwärtigt die Schau "Der Rhein. Eine europäische Flussbiografie" in der Bundeskunsthalle. Rund 300 Exponate sind aufgeboten, um 2000 Jahre Kulturhistorie lebendig werden zu lassen - in dieser Breite ein Novum. "Die ganze Geschichte von Europa liegt in diesem Fluss", hatte schon Victor Hugo festgestellt. Überraschenderweise startet die Zeitreise noch früher, in der Eiszeit. Zwei Skelette, gefunden in Bonn, werden in eine recht leblose Begegnung mit Rhein-Interpretationen von Moritz von Schwind, Max Ernst und Andreas Gursky verstrickt. Dazu ertönt Schumanns "Rheinische Symphonie". Nach dieser Einstimmung folgen zwölf thematische, chronologisch angelegte Kapitel - bis auf das erste.

Hier erfährt man, dass der Rhein in seinem heutigen Verlauf ein Produkt des späten 19. Jahrhunderts ist. Die Idee zu seiner Regulierung soll aber bereits Frankenkönig Chlodwig um 510 gehabt haben. "Navigation und Verbauung" ist dieses landkartenreiche Kapitel überschrieben. An Ersterer mangelte es in Dieter Roths Spielzeug-Landschaft "Vom Rhein" offensichtlich: verunglückte Autos, entgleiste Züge, havarierte Schiffe. Von den Römern, die schon Waren auf dem Fluss transportierten, mäandert das Thema bis zum Europoort nach Rotterdam. Rhenos nannten die Kelten den Fluss, alles fließt. Der Rhein wird auch als Strom der Kirche, der Kaiser und der Händler gedeutet. Ein Relieffragment mit Segelschiff (Römer), das Reichenauer Evangelistar von der Klosterinsel im Bodensee (Kirche), die Grabplatte Rudolfs I. und ein Bildnis des Königsstuhls in Rhens (Kaiser) sollen das belegen. Und dazu obendrauf ein mehrtafeliges Werk (Händler), das Luther, einen Minnesänger und den Buchdrucker Gutenberg zeigt.

Man muss schon ein paar Schritte gehen, vorbei an geschwungenen blauen Wänden und blauen Vitrinen, ehe man auf das Erwartbare trifft, auf die langwährende deutsch-französische Konfrontation, auf Germania und Marianne. Ein Basler Freiheitshut von 1798, Bilder vom Einmarsch Napoleons in Düsseldorf oder Ernst Moritz Arndts Kampfschrift "Der Rhein" (1813), in der er beide Ufer für Deutschland forderte, stimmen auf die Kriege ein, die folgen sollten. Während die heroische Germania bei Lorenz Clasen (1860) am Rhein Wache schiebt, erhebt sich die aschenbleiche Marianne von Gustave Doré über dem Schlachtfeld von Sedan (1870).

Bei Paul Colin ist die französische Nationalfigur 1944 stigmatisiert. Bismarck hat als Schlachter einen Auftritt, während das Haupt Kaiser Wilhelms I. daran erinnert, dass das Reiterstandbild am Deutschen Eck in Koblenz 1945 von den Amerikanern zerstört wurde. Warum steht dort eigentlich seit 1997 ein neuer, alter Kaiser?

Verwunderlich, dass der Rhein im schlachtenreichen 19. Jahrhundert sein Coming-out als Sehnsuchtslandschaft erlebte - den Engländern sei Dank. William Turner malte Mainz und die Godesburg, Victor Hugo und Schinkel zeichneten Burgen. Selbstverständlich kommen in Bonn auch Loreley, Drachenfels und Kölner Dom, der nun endlich zu Ende gebaut werden konnte, zu ihrem Recht. Zerstörte Rheinbrücken markieren den Zweiten Weltkrieg, ein Fenster aus dem Straßburger Münster die europäische Einigung. Auch diesen Prozess muss der Fluss symbolisieren.

Und heute? Mythen und Legenden wirken eher abgestanden. Der Rhein ist aus der Mode gekommen. Von der Romantik ist im Weltkulturerbe Mittelrheintal mit Eisenbahntrassen und Landstraßen an beiden Ufern nur noch wenig übrig. Über ein Update für den Loreley-Felsen wird nachgedacht. Auch das wird der leidgeprüfte Schicksalsstrom überleben.

 Peter Birmanns Gemälde „Blick vom Isteinerklotz rheinaufwärts gegen Basel“ (um 1819). Foto: Martin P. Bühler/© Kunstmuseum Basel

Peter Birmanns Gemälde „Blick vom Isteinerklotz rheinaufwärts gegen Basel“ (um 1819). Foto: Martin P. Bühler/© Kunstmuseum Basel

Foto: Martin P. Bühler/© Kunstmuseum Basel

Bis 22.1. (Di, Mi: 10-21 Uhr; Do-So: 10-19 Uhr). Das Rheinische Landesmuseum zeigt zeitgleich "Bilderstrom. Der Rhein in der Fotografie 1853-2016".

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