Kunst auf der Kippe

Saarbrücken · Der Zirkus ist seit Jahren bei den Perspectives Garant für leuchtende Publikumsaugen. Und die Compagnie Akoreacro beweist zum Festivalstart: Der Cirque Nouveau hat nichts von seiner anarchischen Kraft eingebüßt.

 Auch so kann man auf einem Flügel „spielen“. Foto: Iris Maurer

Auch so kann man auf einem Flügel „spielen“. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Was macht der Akkordeonist, zieht es ihn auf einem Trapez stehend unversehens nach oben? Trotzt er seiner Fall- angst und lässt die Finger auf den Knöpfen, um zu musizieren? Oder wäre wenigstens eine Hand am Seil nicht das, was jeder Vernünftige täte? Zirkus aber ist ja eben das nicht: vernünftig. Sondern herrlich unvernünftig. Also schwebt er - und spielt. Später steigt er gar kopfunter in netzlose Zeltkuppelhöhe auf. Wie die Akrobaten der Compagnie Akoreacro immer wieder kühn scheinbar ins Nichts stürzen, bevor muskulöse Arme sie doch noch auffangen, ist fast schon symbolisch für das Leben selbst - das ja auch oft auf der Kippe steht.

Die Truppe aus der Mitte Frankreichs (Région Centre), die in Saarbrücken am Donnerstag das Theaterfestival Perspectives eröffnete, zählt zu den vielen, bemerkenswert einfallsreichen Compagnien in der Folge des Cirque Nouveau. Die Bewegung dieser Zirkus-Revolutionäre, die einst genug hatten von den ewigen Tiger-springt-durch-Feuerreifen-Nummern, die lieber artistische Schauspiele erzählen wollten statt kalte Schaulust zu befriedigen, marschiert mittlerweile auch schon auf die 50 zu. Doch wer dieses Eröffnungsspektakel jetzt erlebt hat, weiß: Der Cirque Nouveau ist jung, noch immer.

Akoreacro, das sind elf herausragende Artisten und Musiker. Wer was von Hause aus ist, ahnt man bloß, weil alles fließt, sie sich ihre Spiellaune von keinen Nummernschranken hemmen lassen. Oft scheint es, das knappe Dutzend und ein Flügel, der auf Rädern durchs Zirkusrund tanzt, will eigentlich den großen Manegenzauber zu wilden Klängen von Musette bis Jazz, von Bach bis Beatboxing. Dann aber kommt wieder ein Kollege mit dem Kehrbesen dazwischen und das Pathos stolpert, die Komik fällt der Artistik in den Arm. "Schöööön", sagte Charlie Rivel immer.

Weitere Aufführungen am heutigen Samstag, 17.30 Uhr, und am 24. Mai, 18 Uhr, Tbilisser Platz. Infos im Internet unter:

www.festival-perspectives.de

Meinung:

Wahrheitsakrobatik

Von SZ-RedakteurOliver Schwambach

Zu einem Festival gehören Eröffnungsreden. Da begrüßt man viele, bedankt sich gegenseitig. Und übt sich ansonsten in Wohlgefallen. Doris Pack , Vorstand der Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit, holte am Donnerstagabend aber bei der Eröffnung der Perspectives zu einer kleinen Wutrede aus. "Alles,was in der Zeitung verbreitet wurde", tat Pack sichtlich echauffiert vor dem Saarbrücker Theater kund, "stimmt nicht". Stimmt eben doch, sagte Sylvie Hamard, die künstlerische Leiterin der Perspectives, auf Nachfrage kurz nach Packs harschen Worten. Im Interview mit unserer Zeitung (20. Mai) hatte Hamard annonciert: Falls die Zuschüsse für ihr Festival drastisch gekürzt werden, wolle sie die Leitung aufgeben, dann sei die "Schmerzgrenze" überschritten. "Und dazu stehe ich", bestätigte Hamard. Die Neuordnung der Regionen in Frankreich könnte nämlich dazu führen, dass die 100 000 Euro, die die Perspectives bislang vom Département Moselle bekommen, in Frage gestellt werden. Solch' kritische Töne passen wohl nicht zu Eröffnungsreden. Zutreffend sind sie aber doch.

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