Sarrazin: „Wie ein Reiter auf einem ungezähmten Gaul“

Der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin über seine Provokationen, Oskar Lafontaine und die Finanznot des Saarlandes.

Herr Sarrazin, in den vergangenen Jahren haben Sie mit Äußerungen über die Finanzpolitik des Saarlandes für Wirbel gesorgt und das Existenzrecht des Saarlandes infrage gestellt. Was haben Sie gegen uns?

Sarrazin: Ich habe gar nichts gegen das Saarland. Ich reagiere nur ein bisschen allergisch, wenn ich sehe, dass ein Land seine Finanzen nicht so in Ordnung hat, wie es sie haben müsste, und dafür die Schuld bei anderen sucht. Jedes einzelne Land muss seine Probleme selber lösen. Und das geht auch, wenn es die finanzielle Stabilität an vorderste Stelle setzt.

Die saarländischen Politiker sagen: Man kann nicht nur sparen, damit macht man das Land kaputt.

Sarrazin:Ich will die Probleme keineswegs kleinreden. Ich komme aus dem Ruhrgebiet und weiß, was Zechensterben heißt, das waren schon Belastungen. Nur müssten die seit 20 Jahren überwunden sein. Dass man damit heute immer noch operiert, hilft nicht weiter. Für eines haben das Saarland und auch Bremen jedenfalls den ganz klaren Beweis geliefert: Schuldenhilfen helfen nichts. Das Geld ist weg.

Halten Sie die Schuldenbremse für wirksam?

Sarrazin: Ja, wenn sie denn nicht unterlaufen wird. Wenn die Politiker sich einig werden, sie anders zu interpretieren, als sie gemeint war, dann findet sich auch ein Weg dazu. Für mich war es immer faszinierend, dass dieselben Politiker, die immer sagen, wir können nicht konventionell sparen, einer Schuldenbremse zustimmen. Das ist eine gewisse Schizophrenie. Eine sinnvoll interpretierte Schuldenbremse könnte aber den Politikern für unpopuläre Entscheidungen den Rückenwind geben, den sie aus eigener Kraft nicht produzieren konnten.

Sie haben als Berliner Finanzsenator 2007 und 2008 Haushaltsüberschüsse produziert. Wie geht so etwas?

Sarrazin: Berlin hatte kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabenproblem. Als ich begann, lagen die Ausgaben um 30 % über den Einnahmen. Deshalb haben wir die Ausgaben zunächst abgesenkt und dann 7 Jahre lang nicht erhöht. Dabei haben wir beispielsweise das 13. Monatsgehalt für Beamte abgeschafft. Und wir haben die Arbeitszeit von Angestellten und Arbeitern ohne Lohnausgleich um zehn Prozent verkürzt und haben auf dieser abgesenkten Basis sechs Jahre lang keine Gehaltsanpassung gehabt. Es gab im ganzen Land keinen messbaren Produktivitätseinbruch durch die kürzere Arbeitszeit. Maßnahmen von solcher Härte haben Bremen und das Saarland nicht ergriffen.

Sie haben mit der PDS, der heutigen Linkspartei regiert. Kann man mit dieser Partei einen Haushalt sanieren?

Sarrazin: Man kann gegen Oskar Lafontaine viel sagen, aber er war als Ministerpräsident sparsamer als seine Nachfolger.

Hätten Sie ihm im vergangenen Jahr gewünscht, dass er noch einmal saarländischer Ministerpräsident wird?

Sarrazin: Ich will Oskar Lafontaine nicht charakterisieren, das hat sich auch erledigt: Er wird im Landtag noch einige Male auftauchen, aber ich nehme an, das wird ihm dann zu langweilig, dann zieht er sich auf seine Burg zurück und macht von dort aus ein paar Ausfälle.

Mittlerweile tritt er im Programmentwurf für Generalstreiks und Enteignungen ein. Was halten Sie davon?

Sarrazin: Ich bin seit 1973 in der SPD. Was da drinsteht, hatten wir schon zu Juso-Zeiten überwunden. Das ist eine Ansammlung von verstaubten Asservaten aus dem ideologischen Museum. Das erfüllt mich mit allergrößter Heiterkeit. Ich weiß nicht, wer es geschrieben hat. Lothar Bisky ist eigentlich viel zu klug für so einen Quatsch. Das kommunistische Manifest hatte wenigstens mehr sprachlichen Glanz.

Wie haben Sie die PDS für Ihren Sparkurs auf Linie gebracht?

Sarrazin: Indem ich einen Kassensturz gemacht habe, ich dann mit meinem Foliensatz in die PDS- Fraktion gegangen bin und im Senat für die Entscheidungen gesorgt habe. Ich hatte zu den Beteiligten der PDS immer ein gutes persönliches Verhältnis. Politik findet nicht zwischen Parteien statt, sondern zwischen Personen. Das können Sie im Augenblick wunderbar auf der Bundesebene sehen. Es knirscht einfach zwischen den Personen Angela Merkel und Guido Westerwelle. Wenn man Politik machen will, muss man zu anderen Politikern, die man braucht, ein menschlich vernünftiges Verhältnis aufbauen. Die Römer wurden deshalb mächtig, weil ihr militärisches Prinzip war: Immer nur ein Feind gleichzeitig. Man kann nicht Politik machen, indem man nur von Feinden umgeben ist.

Wenn Sie schon von Westerwelle sprechen: Wie fanden Sie die von ihm angestoßene Hartz-IV-Debatte?

Sarrazin: Wir haben in Deutschland das Problem einer sich verfestigenden, dauerhaft nicht ausreichend in den wirtschaftlichen Kreislauf eingebundenen Unterschicht. Und wir leben damit, dass aus dieser Schicht ein wachsender Teil unserer Kinder kommt. In Berlin liegt der Anteil der Empfänger von Grundsicherung bei 20 Prozent, doch es kommen 40 Prozent der Berliner Kinder aus diesem Bereich. Mit diesem Thema müssen wir umgehen, weil es für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtig ist. Die Zahl derer, die überhaupt zum Steuerzahlen zur Verfügung steht, wird immer kleiner. Diesem Thema kann man sich auf unterschiedliche Weise nähern, aber man muss es zum Thema machen.

Warum verlaufen die Debatten um dieses Thema immer gleich so scharf und unversöhnlich?

Sarrazin: Weil wir in Deutschland einen sehr etablierten Bereich mächtiger, meinungsführender Stimmen haben, die sich als die Verteidiger der Schwachen und Entrechteten sehen. Wenn man heute eine solche Diskussion führt, ist man ein Reiter auf einem ungezähmten Gaul. Man muss zusehen, dass man nicht aus dem Sattel fliegt – indem man falsch wahrgenommen wird.

Sie haben offenbar wenig Angst davor, wilde Gäule zu zähmen...

Sarrazin: Tatsache ist: Wenn man sich zu einem Punkt äußert, der Empfindlichkeiten wachruft, muss man mit Gegenwind rechnen. Jede breite öffentliche Debatte läuft mit einem gehörigen Maß an Verkürzung. Das muss man vorher wissen. Man muss die eigenen Botschaften selbst so verkürzen, dass sie trotzdem richtig rüberkommen. Und man darf sich nicht wundern, dass sie von Kontrahenten in unzulässiger oder ungehöriger Weise verkürzt werden. Das ist auch immer eine moralische Schlammschlacht. Andererseits muss man klar sagen: Eine Diskussion, die nicht auch verkürzt werden kann, wird nie eine öffentliche Diskussion, das ist das Gesetz der Medien. Deshalb braucht man, um eine Debatte zu bestreiten, auch eine gewisse Kunstfertigkeit...

... besitzt Westerwelle diese Kunstfertigkeit?

Sarrazin: Bei Herrn Westerwelle und Frau Merkel kann man zwei Extreme studieren, die beide suboptimal sind. Westerwelle wurde medial zum Opfer seines schiefen Bildes von der „spätrömischen Dekadenz“. Angela Merkel wird tendenziell zum Opfer einer Kommunikationsstrategie, die jede denkbare Anstößigkeit vermeidet und damit die Kommunikationsinhalte bis zum Nichtssagenden entkleidet. Wenn diese so unterschiedlichen kommunikativen Strategien dann nebeneinander auf der Regierungsbank sitzen, ist man neugierig, wie das zusammengeht.

Vor Westerwelle waren Sie Deutschlands berühmtester Provokateur. Macht Ihnen die Rolle Spaß?

Sarrazin: Ich habe das nie beabsichtigt, aber ich habe mit wachsendem Bekanntheitsgrad entdeckt, dass meine Äußerungen, die ich in vollständiger Harmlosigkeit tue, in besonderem Umfang wahrgenommen werden. In meiner Anfangszeit als Finanzsenator hatte ich einmal gesagt, dass ich noch nie so viele Menschen in Trainingsanzügen hätte herumschlurfen sehen wie in Berlin. In der Tat ist doch die Dichte der Trainingsanzüge ein Sozial-Indikator für ein Stadtviertel. Kompakte Bilder helfen, eine Debatte weiterzubringen.

Eines Ihrer „kompakten“ Bilder war das von Türken und Arabern, die keine produktive Funktion hätten, „außer für den Obst- und Gemüsehandel“ und „ständig neue kleine Kopftuchmädchen“ produzierten. Dafür hatten Sie in Ihrer Partei keine Unterstützer.

Sarrazin: Für den vollen Erkenntniswert muss man das ganze Interview lesen. Meinungsumfragen zeigen, dass die von mir dort vertretenen Positionen bei den Wählern aller demokratischen Parteien eine Mehrheit haben, außer bei den Grünen. Nochmals: Kompakte Bilder helfen, eine Debatte weiterzubringen. Denn es ist doch eindeutig, dass so, wie in den vergangenen Jahrzehnten Zuwanderung in Deutschland ablief, damit keine alten Probleme gelöst, sondern lediglich neue Probleme geschaffen wurden. Die Politik meint immer, sie könnte einer Debatte ausweichen, indem sie sie nicht führt. Doch das ist falsch. Alle wichtigen Debatten kommen irgendwann – nur in einem anderen Umfeld, wo man sie nicht mehr kontrollieren kann, wo sie einem um die Ohren fliegen.

Gerät durch unkontrollierbare Debatten der soziale Friede in Gefahr?

Sarrazin: Der soziale Friede ist ein hoher Wert. Wenn man ihn aber in jeder Debatte als Monstranz vor sich her trägt, dann ist dies Religionsersatz, und Religion ist nach Karl Marx Opium für das Volk. Es muss in einer Gesellschaft auch eine gewisse Menge Streit, Krach und Kontroverse geben, denn es gibt ja auch unterschiedliche Interessen. Der Steuerzahler ärgert sich über die hohen Abgaben. Der Rentner, der lange geschuftet hat und jetzt alt und krank ist, will aber auch sein Geld haben. Es geht darum, die Dinge vernünftig abzugleichen – das geht nicht ohne Streit. Die deutsche Harmoniesucht hat doch dazu geführt, dass viele Dinge gar nicht klar genug benannt und dann aufgeschoben werden. Und wenn man endlich was tun will, ist es zu spät – da sind wir wieder bei den Finanzen des Saarlandes.

Nach dem Interview, in dem Sie sich über Türken und Araber geäußert hatten, warfen Ihnen Teile der SPD Rassismus vor, man wollte Sie aus der Partei ausschließen. Fühlen Sie sich in der SPD überhaupt noch Zuhause?

Sarrazin: Eine Partei ist kein Heimatverein. Wenn man politisch tätig werden will, muss man in einer Partei Mitglied werden. Man kann ja auch nur richtig Fußball spielen, wenn man in einem Fußballverein ist. Ich habe mich mit 28 entschieden, in die SPD zu gehen, weil die Partei mir in der Summe am nächsten stand. Und ich habe diesen Entschluss bis heute nicht bereut, auch wenn ich nicht jede Position gutheißen kann.

Sehen Sie Ihre Partei eigentlich auf einem guten Weg nach dem Desaster bei der Bundestagswahl?

Sarrazin: Eine Partei, die frisch in die Opposition kommt, muss dort zunächst eine Legislaturperiode unfallfrei bewältigen. Zurück an die Macht kommt sie selten wegen eines glanzvollen Programms, sondern dann, wenn die Regierungsparteien es nicht mehr raffen. Von daher könnte man sagen, dass die SPD gegenwärtig auf einem sehr guten Weg ist.

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