Billiglöhne teuer bezahlt

Saarbrücken · Staat subventioniert Geringverdiener mit zwei Milliarden Euro

Saarbrücken. Billiglöhne kommen den Staat teuer zu stehen. Rund zwei Milliarden Euro musste der Bund 2011 ausgeben, um Geringverdienern mit einem Vollzeitjob das Existenzminimum zu sichern. Rechnet man noch die Betroffenen mit einem sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjob hinzu, so waren es sogar vier Milliarden Euro, die der Staat über das Hartz-IV-System beisteuerte. Das geht aus einer Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hervor, die unserer Zeitung vorliegt.

Demnach gibt es trotz guter Arbeitmarktlage und zum Teil spürbarer Lohnsteigerungen immer noch rund 560.000 sozialversichert Beschäftigte, die zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind. Das sind 2,5 Prozent aller sozialversicherten Erwerbspersonen. Im Osten ist die Quote mit 4,5 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im Westen (zwei Prozent). Im Ländervergleich liegen die Stadtstaaten Berlin (6,1 Prozent), Bremen (4,3) und Hamburg (3,6) deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Nur in einigen ostdeutschen Städten wie etwa Neubrandenburg (6,9 Prozent) und Cottbus (6,5 Prozent) liegt das Verarmungsrisiko noch höher. In Bayern werden offenbar fast durchgehend auskömmlich Löhne bezahlt. Die Quote der so genannten Aufstocker beträgt hier nur 1,2 Prozent. Das ist der niedrigste Wert unter allen Bundesländern.

"Armut trotz Erwerbslosigkeit konzentriert sich insbesondere auf einzelne Branchen". erläuterte der Arbeitsmarktexperte beim DGB, Wilhelm Adamy, gegenüber unserer Zeitung. So sei das Risiko, in der Zeitarbeit zum Aufstocker zu werden, vier Mal höher als in der Gesamtwirtschaft. Etwa jeder zehnte Leiharbeiter bezog im Vorjahr zusätzlich Hartz IV. Im Gastgewerbe waren es 8,4 Prozent aller Beschäftigten. Laut DGB-Studie verdiente von allen erwerbstätigen Aufstockern zuletzt etwa die Hälfte nicht mehr als 6,50 Euro pro Stunde. Bei etwa jedem vierten lag der Stundenlohn sogar unter fünf Euro.

Nach offiziellen Angaben hat sich die Zahl der erwerbstätigen Aufstocker seit 2007 um gut 100.000 auf jetzt insgesamt 1,3 Millionen erhöht. Während die Zahl der Betroffenen in Teilzeit dabei kontinuierlich zulegte, ist die Zahl der Aufstocker mit einem Vollzeitjob um etwa 70.000 gesunken. Adamy führte diese positive Entwicklung auf die Einführung branchenspezifischer Mindestlöhne zurück. Sie existieren mittlerweile in elf Wirtschaftszweigen mit rund vier Millionen Beschäftigten. Dazu zählen Teile der Bauwirtschaft, die Pflegebranche und neuerdings auch die Leiharbeit.
In der Praxis, so Adamy, würden allerdings längst nicht alle in Frage kommenden Geringverdiener ihren Anspruch auf zusätzliche Unerstützung wahrnehmen. "Nur etwa jeder zweite Vollzeitbeschäftigte stockt seinen geringen Verdienst mit Hartz IV auf". Der DGB-Experte berief sich dabei auf frühere wissenschaftliche Untersuchungen von Arbeitsmarktforschern. Wesentliche Gründe für den Verzicht seien fehlendes Wissen, aber auch "Scham und Scheu" vor dem Antragsverfahren, so Adamy. Viele wollten sich nicht "quasi finanziell ausziehen".

Fazit der DGB-Studie: Wenn Lohndumping und prekäre Beschäftigung nicht zurück gedrängt würden, müssten "Steuermittel dauerhaft in Milliardenhöhe aufgebracht werden". Dadurch drohten weitere Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen, die existenzsichernde Löhne zahlten und denjenigen, die sich die Armutsfalle zunutze machten.

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