"Ich bin immer offen für Verbesserungen"

Saarbrücken · Ab heute sollten Hartz-IV-Empfänger eigentlich mehr Geld bekommen und ihre Kinder von einem Bildungspaket profitieren. Doch Bund und Länder streiten immer noch über einen Reform-Kompromiss. Über den Verhandlungsstand und ihre weiteren politischen Vorhaben sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter mit Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU):

Frau Ministerin, wann werden bei der Hartz-Reform endlich Nägel mit Köpfen gemacht?
Ursula von der Leyen: Auch zwischen den Jahren haben wir mit der Opposition intensiv an einer Lösung gearbeitet. Ende dieser Woche kommt die gemeinsame Arbeitsgruppe erneut zusammen. Zwischenzeitlich wurden viele Detailfragen geklärt. Ich bin zuversichtlich, dass wir noch im Januar den Sack zu machen können und der Bundesrat das Gesetz Anfang Februar endgütig beschließen wird.

Die SPD fordert eine grundlegende Neuberechnung des Regelsatzes. Ist für Sie eine Erhöhung über die geplanten fünf Euro hinaus vorstellbar?
Ursula von der Leyen: Wir haben eine verfassungsfeste, transparente und plausible Berechnung des Existenzminimums vorgelegt. Man kann immer mehr wollen. Wer das fordert, muss aber genau sagen, wofür. Wir werden mit der Opposition noch einmal alle Berechnungen genau durchgehen. Ich hoffe, SPD und Grüne davon überzeugen zu können, dass wir den korrekten Betrag ermittelt haben.

Zentraler Kritikpunkt an ihrem Gesetzentwurf ist das Bildungspaket. Wie lässt sich das Problem lösen?
Ursula von der Leyen: Ich bin immer offen für wirkliche Verbesserungen. Wenn auch die Kinder von Wohngeldbeziehern in das Bildungspaket einbezogen werden sollen, wie es die SPD möchte, müsste man die Kosten und natürlich die gesetzliche Grundlage dafür klären. Also, ich werde keine Tür zuschlagen und bin gesprächsbereit. Wir müssen jedoch auch im Auge behalten, dass das Bildungspaket für aktuell 2,3 Millionen Kinder bereits 740 Millionen Euro an Steuergeldern kostet. Es geht nicht, dass wir den Kreis beliebig immer weiter ziehen, ohne zu sagen, woher die Mittel dafür kommen sollen.

Ein Hauptvorwurf beim Bildungspaket ist der bürokratische Mehraufwand in der Bundesagentur für Arbeit. Ziehen Sie sich den Schuh an?
Ursula von der Leyen: Mir soll mal einer erklären, warum die von der SPD geforderten 43 000 Sozialarbeiter für zwei bis drei Milliarden Euro jährlich weniger Bürokratie für das Bildungspaket bedeuten sollen, als die im Gesetz vorgesehenen 1300 Stellen für 135 Millionen Euro pro Jahr. Ob jemand beim Jobcenter oder der Kommune direkt angestellt ist, ist mir egal. Entscheidend ist, was er tut und wie gut er seine Aufgabe macht. Mir kommt es darauf an, dass sich Menschen vor Ort um die Hartz-IV-Kinder kümmern, sie an die Hand nehmen und ihre Lotsen sind zu den Vereinen, den Schulen und der Lernförderung.

Im Rahmen der Hartz-IV-Reform geht es auch um das Thema Mindestlöhne. Wäre ein flächendeckender Mindestlohn nicht das Beste, um Lohndumping generell zu unterbinden?
Ursula von der Leyen: Nein. Das Argument, die so genannten Aufstocker, also die Beschäftigten, die ergänzend Hartz IV erhalten, gäbe es durch einen Mindestlohn nicht, ist definitiv falsch. Von den Aufstockern arbeiten rund drei Viertel in Teilzeit, von der jeder weiß, dass man davon nicht leben kann. Das restliche Viertel hat im Prinzip auskömmliche Löhne. Wenn es nicht reicht, liegt es zumeist daran, dass eine Familie zu ernähren ist, nicht an der Höhe der Stundenlöhne. Nur 35 000 Personen haben bei Vollzeit einen so geringen Lohn, dass sie alleine davon nicht leben kann. Das ist bei 40 Millionen Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland eine verschwindend kleine Gruppe.

Trotzdem könnte ein allgemeiner Mindestlohn den Druck auf die untersten Lohngruppen mindern.
Ursula von der Leyen: Zum Mindestlohn habe ich eine entspannte Haltung. Er ist weder eine Katastrophe noch ein Allheilmittel. Ich halte aber nichts von politisch festgesetzten Mindestlöhnen. Ich begrüße einen Mindestlohn, den Arbeitgeber und Gewerkschaft einer Branche selbst aushandeln und der dann von der Politik wie kürzlich für den Pflegbereich geschehen für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Das ist der richtige Weg.

In vier Monaten fallen fast alle Schranken bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wie wollen Sie verhindern, dass Arbeiter aus Polen oder Tschechien das Lohnniveau in Deutschland drücken?
Ursula von der Leyen: Die allermeisten Branchen sind durch ihr Tarifgefüge geschützt. Sorgen macht mir die Zeitarbeit, bei der ein Import ausländischer Billigtarifverträge nach Deutschland droht. Stundensätze von drei bis vier Euro würden die Lohnspirale tatsächlich nach unten drücken. Deshalb plädiere ich für eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit. Darüber wird in der Koalition derzeit verhandelt.

Alle einschlägigen Studien besagen, dass Deutschland bei der Nettolohn-Entwicklung seit Jahren international hinterher hinkt. Können die Beschäftigten 2011 auf einen kräftigen Schluck aus der Lohnpulle hoffen?
Ursula von der Leyen: Ich bin der festen Überzeugung, dass das Lohnniveau in diesem Jahr spürbar steigen wird. Schon allein deshalb, weil weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Die Drohung mit Massen anderer Bewerber funktioniert immer seltener. Vor drei Jahren hat die Politik noch für Lehrstellen geworben. Heute sind viele davon verwaist, weil Bewerber fehlen. Diese Entwicklung wird auch das Lohngefüge zu Gunsten der Beschäftigten verändern.

Sie machen sich für eine verstärkten Zuzug ausländischer Fachkräfte stark. Gilt das auch für den Pflegesektor?
Ursula von der Leyen: Das ist eine klassische Branche, bei der wir erst einmal die Hausaufgaben im eigenen Land erledigen müssen. Die Pflegebranche boomt, sie bildet aber viel zu wenig aus. Pro Jahr gibt es nur rund 12 500 Erstausbildungsplätze. Die Dramatik wird auch daran deutlich, dass die Bundesagentur für Arbeit gegenwärtig 7500 Umschulungen aus Beitrags- und Steuergeldern finanziert. Hier müssen die Gewichte besser verteilt werden.

Was planen Sie?
Ursula von der Leyen: Gemeinsam mit Gesundheitsminister Philipp Rösler und Familienministerin Kristina Schröder wollen wir uns in den kommenden Wochen mit den Arbeitgebervertretern der Pflegebranche zusammensetzen, um über eine Qualifizierungsinitiative zu sprechen. Im Rahmen dieser Ausbildungsoffensive kann man auch überlegen, welchen Anteil der Staat zur Weiterbildung von Pflegkräften leistet. Aber das muss ein Pakt auf Gegenseitigkeit sei. Zuerst ist die Branche selbst gefordert.

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