Feiern als Bürgerpflicht

Nein, normal darf Fastnacht nicht sein. Das wäre ein Widerspruch in sich. Man flirtet etwas kühner als üblich, lacht schon mal unter seinem Niveau und schunkelt zu Musik, die man nie auf seine Playlist nehmen würde.

Karneval heißt Ausnahmezustand. Auf einige Besonderheiten hätte man in diesem Jahr aber gerne verzichten können - und damit ist nicht nur der Sturm gemeint, der heute die Umzüge gefährdet. Im Saarland hat Innenminister Klaus Bouillon über die Fastnachtstage 500 Polizisten zusätzlich auf die Straße geschickt, Polizeischüler extra abkommandiert. Sie sollen nicht nur Frauen vor Angriffen wie in der Kölner Silvesternacht schützen - ein Ziel, dem auch jene Broschüren dienen, die Neuankömmlingen beim zuweilen frivol anmutenden Treiben den Unterschied zwischen Flirt und sexuellem Übergriff erklären. Mindestens ebenso verstörend ist der andere Grund der Polizeipräsenz: die Sorge vor Terror. Die Sicherheitskräfte warnten sogar davor, in kriegerischen Kostümen zur Fastnacht zu erscheinen.

Gerade bei den großen Umzügen wird manchen das mulmige Gefühl beschleichen, dass solche fröhlichen Massenfeste das ideale Ziel des blutdürstenden Islamischen Staates und seiner spaßfreien Ideologie sind. Das Gefühl wird man seit der Absage des Länderspiels in Hannover und des Braunschweiger Umzugs vor einem Jahr nicht mehr los. Unter ähnlich schwierigen Vorzeichen stand die Fastnacht zuletzt vor 25 Jahren. Damals sagten die Veranstalter angesichts des ersten US-Kriegs gegen den Irak ihre Umzüge ab. Nach diesem Maßstab hätten die Motivwagen seit Jahren im Depot bleiben müssen. Krieg herrschte immer. Heute legen in Syrien die Bomben nicht nur Städte in Schutt und Asche - sie zwingen Millionen zur Flucht. Zudem sind deutsche Soldaten beteiligt, erreichen die Kriegs-Folgen über die Flüchtlingswelle auch die letzte deutsche Kommune. Nicht zuletzt gebiert der Konflikt den Terror, der auf Paris zielte und der auch deutsche Weihnachtsmärkte und Karnevalsumzüge treffen kann. Ist das kein Grund, lieber zu Hause zu bleiben?

Im Gegenteil. Es ist jetzt umso wichtiger, dass die Fastnachter die Nerven behalten und am Rosenmontag ,,grad se läds" auf die Straße gehen. Weil sie dem globalen Wahnsinn Lebenslust entgegensetzen. Und weil sie dem Terror des IS offen widerstehen, der Menschen in Europa durch Angst ihre Lebensart verleiden will. Für diese steht auch die Fastnacht mit ihrer bierseligen Ausgelassenheit, dem lockeren, gleichberechtigten Umgang der Geschlechter und der fröhlichen Respektlosigkeit gegenüber Gott und der Welt. Das will man uns austreiben. Und deshalb ist Feiern heute ganz normal, zugleich aber ein Akt des Widerstands - und erste Bürgerpflicht.

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