Groß gedacht, gut gemacht

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen? Man könnte ihn auch in die Völklinger Alte Hütte schicken. Denn das Weltkulturerbe steht wie kein zweiter Ort im Saarland für eine "Traut Euch!"-Geisteshaltung, die in Zeiten der Schuldenbremse ganz und gar zu verschwinden droht.

Nur weil man in Völklingen groß zu denken wagte, wird 2020 das sechs Hektar große Industriedenkmal-Areal komplett durchsaniert und für Generationen gerettet sein. 15 Millionen Euro Fremdmittel (Bund/EU) ermöglichen zusammen mit fünf Millionen aus dem Saar-Haushalt eine letzte spektakuläre Erweiterung. Der Wasserhochbehälter, eine Landmarke, wird zum neuen Eingangsportal und Ausstellungsort. Das dazu gehörige Pumpenhaus wandelt sich in eine industriekulturelle Gastro-Location. Ein großartiger Zuwachs. Wird all dies nicht zu teuer erkauft? Wer so denkt, ist nicht an einer Vision erkrankt, sondern leidet an der typischen saarländischen Depression. Letztere beruht auf dem Trugschluss, dass ein Land, das von anderen Haushaltshilfen fordert, nur noch Abbau, nicht mehr Auf- und Ausbau betreiben dürfe. Das Gegenteil lehrt das 25-jährige Schritt-für-Schritt-Wachstum der Völklinger Hütte. Dort standen nicht Verzagtheit und Leisetreterei am Anfang, sondern ein tolldreistes "think big", ein großes Denken. 1994 schien es völlig abwegig, dass der "alte Schrotthaufen" die Unesco-Ernennung zum Weltkulturerbe bekommen könnte. Trotzdem ließ die damalige SPD-Landesregierung den "Visionär" Johann Peter Lüth, den damaligen Landeskonservator, machen. Doch die Unesco-Auszeichnung verpflichtete zum Erhalt "in Gänze", und so kam die Zielvorgabe eines sanierten Gesamtareals ins Land. Verantwortungslos? Strategisch klug. Denn Lüth vertraute auf den Faktor Zeit: den technischen Fortschritt und das "Learning by doing". Tatsächlich konnten in den vergangenen Jahren unrettbar verloren geglaubte Denkmal-Teile wie die Sinteranlage oder die Trockengasreinigung saniert werden. Die Strategie "Groß gedacht, aber in kleinen, soliden Schritten gut gemacht" überzeugte auch auf nationaler und europäischer Ebene. 75 Millionen Euro an Fördergeldern flossen ins Land. Die Behauptung sei erlaubt, dass dies nur gelang, gerade weil die Völklinger Vision technisch und finanziell vermessen schien. Für jeden war offensichtlich, dass das Saarland allein das Herkules-Projekt nicht stemmen würde. Warum folgte und folgt man bei Großvorhaben nicht dem Völklinger Modell, etwa bei der Messe oder der Wiedernutzung des Pingusson-Hochhauses? Was fehlt, sind die "großen" Zukunftsentwürfe. Doch wer sie nicht hat, braucht bei potenziellen Unterstützern gar nicht erst anzuklopfen. Derzeit fehlt jedoch jedwede politische Chuzpe. Es herrscht die große Koalition der Vorsicht.

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