Immer mit der Ruhe

Nun soll alles möglichst schnell gehen, denken viele. Raus mit den Briten - wer nicht hören will, muss fühlen. Doch in der Politik sind Emotionen ein schlechter Ratgeber. Diejenigen, die in den Verhandlungen über den Austritt des noch vereinigten Königreichs aus der EU für besonders harte Bandagen plädieren, sollten bedenken: Damit würden die jungen Briten, die mit großer Mehrheit für einen Verbleib votiert haben, ein zweites Mal bestraft. Diese Generation braucht nach wie vor eine Perspektive, sie hofft weiter auf Chancen und eine Zukunft in und mit Europa. Und auch darauf, die jetzige Fehlentscheidung der Mehrheit eines Tages revidieren zu können. Darum geht es. Die Interessen der Jungen sollten die Austrittsverhandlungen prägen, nicht irgendeine Garstigkeit. Da hat Angela Merkel völlig Recht.

Klar, eine unendliche Hängepartie will niemand. Weil Unsicherheiten ökonomisch schädlich sind und die EU lähmen könnten. Für unnötige Hast gilt das aber auch. Merkel setzt wie so oft auf ihren politischen Realismus; sie stellt ihn den aufgeladenen Brüsseler Emotionen entgegen. Diese sind zwar verständlich, nachdem die Briten über Jahre gegen die EU gewettert haben, um so einen Bonus nach dem anderen herauszuschlagen. Aber die Hektik der Ereignisse und der Frust über den Ausgang des Referendums dürfen nicht in Fehler münden, deren gravierende Konsequenzen jetzt noch keiner überblickt. Europa braucht die Briten weiter als Handelspartner, als Verbündete in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Bei dieser Scheidung ist somit vieles anders als im wahren Leben. Beide Seiten können den einen Partner nicht einfach durch einen neuen ersetzen. Auch nach einer Abnabelung von der EU bleibt die Insel auf der europäischen Landkarte einer der wichtigsten Akteure. Genauso wenig kann es übrigens im Interesse der EU sein, wenn sich jetzt Schottland von Großbritannien abspaltet. Auch wenn viele Europäer das den Engländern nun gönnen würden. Viele andere Regionen, die schon lange mit ihren Zentralstaaten hadern, könnten es den Schotten dann gleichtun wollen. Europa würde den Rückfall in die Kleinstaaterei erleben. Was nichts Gutes bedeuten kann.

Hinter einem sanfteren Umgang mit London steckt überdies noch ein anderes Kalkül: Die Briten erhalten mehr Zeit zum Nachdenken. Sie werden noch einmal ausgiebig mit den Folgen eines Austritts konfrontiert. Das dürfte jene Kräfte stärken, die trotz des Referendums eine Chance sehen, dass Großbritannien doch in der EU bleibt. Oder die später wieder eintreten wollen. Denn auch beim Brexit könnte gelten, was der frühere SPD-Fraktionschef Herbert Wehner mal gesagt hat: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.

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