„Alles wäre leichter mit Atomausstieg“

Die zur Hälfte dem Bund gehörende Deutsche Energieagentur (Dena) soll auch die Bundesregierung beraten, doch scheint die derzeit beratungsresistent zu sein. Dena-Geschäftsführer Stephan Kohler (56) rät im Gespräch mit unserem Korrespondenten Werner Kolhoff dringend zu einem parteiübergreifenden Konsens in der Energiepolitik.

Kommt Ihnen das Thema Energieeffizienz in der aktuellen Debatte um die Energiepolitik zu kurz?
Stephan Kohler:
Eindeutig. Die Bedeutung der Energieeffizienz ist viel größer als man denkt. So geht die Internationale Energieagentur in ihren Berechnungen davon aus, dass Effizienzgewinne 54 Prozent der CO2-Einsparungen bis 2030 erbringen müssen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Erneuerbare Energien tragen nur zu 23 Prozent und Kernkraft sogar nur zu neun Prozent dazu bei. Trotzdem reden alle leidenschaftlich über Atomstrom. Man sollte diese Debatte vom Kopf auf die Füße stellen. Zuerst muss die Frage stehen: Wie kriegen wir die großen Potenziale der Energieeffizienz möglichst schnell umgesetzt? Dann reden wir automatisch viel mehr über Wärmeerzeugung als über Strom.

Wie erreicht man höhere Effizienz?
Stephan Kohler:
Es gibt Ordnungspolitik, Förderpolitik und Marktinstrumente. Für jeden Bereich muss man definieren, welchen Mix dieser drei Elemente man braucht. Das ist mühsame Politik im Detail, aber höchst lohnend.

Die sie vermissen?
Stephan Kohler:
Ja. Wir sehen eher eine gegenteilige Entwicklung. Ein Beispiel: In Deutschland sind sehr viele Häuser und Wohnungen auf einen Schlag nach dem Krieg neu errichtet worden. Deswegen müssen in nächsten 20 Jahren 50 Prozent aller Gebäude saniert werden. Eine Riesenchance zur Energieeinsparung. Trotzdem werden die staatlichen Programme für die energetische Gebäudesanierung gekürzt.

In der Bevölkerung gibt es Widerstände gegen Atomkraftwerke, gegen neue Kohlekraftwerke, gegen die CCS-Technologie, gegen Windparks...
Stephan Kohler:
... und gegen den Netzausbau auch noch, den wir unbedingt brauchen, wenn wir den Anteil der regenerativen Energien erhöhen wollen.

Wie kann es da überhaupt ein akzeptiertes Energiekonzept geben?
Stephan Kohler: Derzeit sagt sich jeder: Wir wissen ja gar nicht, was kommt. Wieso sollen wir also ein neues Kohlekraftwerk vor unserer Nase dulden, wenn bald sowieso beschlossen wird, dass die Kernkraft länger läuft. Und so weiter. Deshalb ist es wichtig, dass überhaupt ein langfristiges und durchdachtes Konzept erarbeitet wird. Das muss dann aber auch, zweite Voraussetzung, für die nächsten Jahre und Jahrzehnte gelten. Verlässlichkeit ist wichtig. Das wiederum geht nur, wenn der Konsens über die Regierungsparteien hinausgeht und länger als eine Legislaturperiode hält.

Union und FDP machen aber nicht gerade den Eindruck, als legten sie Wert auf die Zustimmung von SPD, Grünen und Linken.
Stephan Kohler: Alles wäre leichter, wenn man beim Atomausstieg bliebe. Der hat einen tiefen gesellschaftlichen Konflikt befriedet. Hier verletzt Schwarzgelb die Verlässlichkeit der Energiepolitik. Auf der anderen Seite muss man an das rotgrüne Lager appellieren, keine unrealistischen Ausbauszenarien bei den regenerativen Energien zu verfolgen. So ist der überhastete Ausbau der Photovoltaik ein Irrweg, weil er hohe Folgekosten nach sich ziehen wird, etwa bei der Anpassung der Netze und dem Ausbau der Speicher. Wir brauchen noch längere Zeit effiziente fossile Kraftwerke, ob mit Erdgas- oder Kohle befeuert. Energie ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen für Deutschland, und die Parteien sollten versuchen, hier einen Grundkonsens zu erreichen.

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