Das Karussell im Kopf hat angehalten

Frankfurt · Nach harter Vorbereitung will Pauline Schäfer bei den Turn-Europameisterschaften in Cluj-Napoca um die Medaillen kämpfen.

Sonntag, 5.50 Uhr, Flughafen Frankfurt. Der Osterhase schläft noch, wenn die Maschine mit dem Aufgebot des Deutschen Turner-Bundes (DTB) in aller Frühe zu den Europameisterschaften in Rumänien abhebt. Mit an Bord ist Pauline Schäfer. Eine Woche lang bereitete sich die für den Bundesligisten TuS Chemnitz-Altendorf startende Saarländerin in Frankfurt auf die internationalen Titelkämpfe vom 19. bis 23. April in Cluj-Napoca vor. Bundestrainerin Ulla Koch lud ein und verpasste beim finalen Trainingslehrgang dem EM-Quartett ihrer Wahl den letzten Schliff.

Neben Schäfer schwitzten auch Weltcup-Gesamtsiegerin Tabea Alt (Ludwigsburg), Kim Bui und Elisabeth Seitz (beide Stuttgart) mit. Die starken Leistungen der letzten Wochen mussten gefestigt und verbessert werden. "Die Tage waren hart und anstrengend. Ein hohes Pensum", beschreibt Schäfer die Plackerei. Auf dem Weg zur Top-Form feilte die Olympionikin an ihren Übungen und stockte sie mit schwierigen Elementen auf.

Nur dabei zu sein, reicht ihr nicht. "Ich versuche, am Schwebebalken und am Boden ins EM-Finale zu kommen. Zu einer Medaille würde ich auch nicht Nein sagen", sagt Schäfer und grinst. Das Grinsen wird breiter, als sie von ihrer bevorstehenden Premiere erzählt. Beim olympischen "All-Around"-Wettkampf in Rio durfte sie nur zuschauen. In Cluj-Napoca turnt Schäfer alle vier Geräte. "Es ist mein erster Mehrkampf bei einer Einzel-EM. Darauf freue ich mich riesig. Der Einzug ins Finale wäre natürlich cool", sagt die Top-Athletin voller Tatendrang.

Anfang des Jahres sah das noch anders aus. "Körperlich war ich fit, aber der Kopf war nicht ganz da. Mir hat der Antrieb gefehlt", erinnert sich Schäfer an das kleine Motivationsloch. Das turbulente Erfolgsjahr hatte Spuren hinterlassen. Geschichte schrieb die 20 Jahre alte Bierbacherin im November 2015 bei der Weltmeisterschaft in Glasgow. Erstmals seit 34 Jahren hatte eine Deutsche wieder eine WM-Medaille am Schwebebalken gewonnen. Schäfer holte WM-Bronze - plötzlich kannten alle ihren Namen. Auch die Medien schauten nun genauer hin. Der Terminkalender war noch enger getaktet, und der öffentliche Druck wuchs. Im Sommer 2016 errang Schäfer bei Olympia in Rio mit der Nationalmannschaft Rang sechs und war am größten Erfolg deutscher Turnerinnen seit der Wiedervereinigung beteiligt.

Zurück in der Heimat, hatte sie dann kaum Zeit, alles zu verarbeiten. Die Bundeswehr rief, und der Olympia-Star tauschte Turndress gegen Tarnkleidung ein. "Olympia, die Grundausbildung - nach dieser intensiven Zeit war es echt schwer, wieder zum Trainingsalltag zu finden", beschreibt die Obergefreite das Karussell im Kopf, das schon viele Spitzensportler überdrehte. Selbst Stars wie der Schwimmer Michael Phelps oder der Leichtathlet Usain Bolt rutschten nach großen Erfolgen schon mal ins Motivationsloch ab - und kämpften sich wieder heraus. Die Soldatin einer Bundeswehr-Sportfördergruppe zeigte den gleichen Willen. "Da muss man eben durch - und weiter geht's", sinniert Schäfer.

Nach der Versetzung von Todtnau in die Kaserne bei Frankenberg reduzierte sich die mehrstündige Fahrtzeit zum Trainingsort Chemnitz auf 45 Minuten. "In der Kaserne bin ich eher selten, dafür pausenlos in der Halle unterwegs", verrät die Nationalturnerin, die nach dem kleinen Durchhänger schnell zur alten Stärke zurückfand. Beim Gewinn des National-Team-Cups mit Deutschland zeigte Schäfer im März in Heilbronn ein abgespecktes Programm und bestätigte die Nominierung für den DTB-Pokal. In Stuttgart konnte sie Bundestrainerin Koch zwei Wochen später ebenfalls überzeugen. Während Tabea Alt mit dem ersten Welt-Cup-Sieg überraschte, wurde Schäfer in der Porsche-Arena Gesamt-Vierte. Am Schwebebalken turnte sie fehlerfrei und zeigte sogar den Schäfer-Salto. Bei den Qualifikationswettkämpfen am kommenden Donnerstag muss sie die nach ihr benannte Höchstschwierigkeit sicher stehen und an den anderen Geräten ebenfalls ihr Bestes geben. Ob das für die EM-Finals am Freitag (Mehrkampf), Samstag (Boden, Balken) und Sonntag (Sprung, Stufenbarren) reicht, wird sich zeigen. Eine Mannschaftswertung gibt es bei dieser EM nicht.

Im Juni wird Schäfer dann beim Deutschen Turnfest in Berlin zu sehen sein. Beim saarländischen Abend ("Wenn es mein Zeitplan erlaubt"), aber ganz sicher in der Max-Schmeling-Halle, beim Kampf um die deutschen Meister-Titel. Der Höhepunkt des Jahres steigt im Oktober bei der WM in Montreal in Kanada. "Nach der EM wird das Pensum runtergefahren und vor den Weltmeisterschaften wieder erhöht. Das wird nicht leicht werden - und die Zeit vergeht wie im Flug", sagt Schäfer.

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