Der neue deutsche Vorzeige-Adler

Köln · Skisprung-Ass Andreas Wellinger reist erstmals als Medaillenkandidat zu einer WM. Drei Jahre nach seinem Olympiasieg wird Lahti zur Reifeprüfung.

(sid) Es ist ein Jammer für Andreas Wellinger, dass ein "Ruhpolding International Airport" nur in Gedankenspielen existiert und Deutschlands aktuell bester Skispringer aufwändig zu den nationalen Großflughäfen pendeln muss. Denn umso weniger Zeit bleibt Wellinger zwischen dem jüngsten Gewalt-Trip nach Fernost und der Weiterreise zur WM nach Lahti, um in seinem idyllischen Heimatort noch einmal Beine wie Seele baumeln zu lassen. Und sich vor dem Saisonhöhepunkt gewissermaßen zu erden.

"Es kommen derzeit extrem viele schöne Briefe bei mir zu Hause an, von kleinen Kindern schöne Zeichnungen. Da macht man den Brief auf und bekommt einfach nur das Lächeln", sagt Wellinger. Dabei ist der 21-Jährige derzeit ohnehin mit Dauergrinsen unterwegs: Bei den acht jüngsten Springen war Wellinger nie schlechter als Vierter, stand sieben Mal auf dem Podest. Wie anders soll das Ziel für die anstehenden Titelkämpfe also lauten als Medaille - womöglich schon im Auftaktwettkampf von der Normalschanze am kommenden Samstag? "Ja, klar. Aber es will ja jeder eine Medaille haben, der da startet", sagt Wellinger: "Wenn ich ordentlich springe, so wie es im Moment der Fall ist, dann besteht die Möglichkeit aber auf jeden Fall."

Ordentlich ist dabei gnadenlos untertrieben. Seit Wellinger beim Vierschanzentournee-Abschluss in Bischofshofen, als er nach dem Sieg in der Qualifikation schon im ersten Durchgang scheiterte, einen Nackenschlag kassierte, flutscht es richtig.

Die Schanzen hätten seitdem unterschiedlicher nicht sein können: Die weltgrößte Großschanze in Willingen, der neue Flugbakken in Oberstdorf, zuletzt die kleine Anlage der kommenden Olympiastadt Pyeongchang in Südkorea - Wellinger glänzte überall. Und auch der enge Zeitplan - am Donnerstag wurde noch in Südkorea gesprungen, am Dienstag ging es per Flieger nach Helsinki - scheint kein Formkiller zu sein. "Wer gut drauf ist, kann alles mitnehmen und durchfahren", sagt Bundestrainer Werner Schuster.

So reiste Wellinger nach kurzem Harmonie-Crashkurs ("Familie und Rückhalt daheim sind extrem wichtig") zu seiner dritten WM erstmals als Medaillenkandidat. 2013 in Val di Fiemme musste er 17-jährig als Ersatzmann noch zusehen. 2015 in Falun hatte er Aufwind vom Team-Olympiasieg im Jahr zuvor, aber auch einen folgenschweren Sturz in den Knochen. Es reichte nur zu Platz elf. "Andi hat sich einiges erarbeitet. Er hat angefangen, mehr Profi zu sein über das ganze Jahr. Er ist aber noch lange nicht am Ziel, er hat jetzt ein erstes Hochplateau", sagt Schuster.

Vor allem dank Wellinger ist eine erneute Traum-WM für die deutschen Skispringer durchaus möglich. Vor zwei Jahren in Falun hatten die DSV-Adler vor allem dank Severin Freund ihr bestes WM-Ergebnis erreicht. Nun fehlt die etatmäßige Nummer eins, bei den Titelkämpfen in Schweden mit zweimal Gold und einmal Silber dekoriert, nach einem Kreuzbandriss. Doch auch ohne den Leitwolf haben die deutschen Springer in jedem Wettkampf Medaillenchancen - und Wellinger ist jedes Mal beteiligt.

Sollte sein bisheriges Glanzjahr 2017 in Lahti eine ebenso glänzende Fortsetzung finden, es wäre die logische Folge. Und die Wellingers sollten zuhause langsam, aber sicher über einen größeren Briefkasten nachdenken.

Zum Thema:

Training der Springer vom Winde verweht Wegen zu starken Windes ist das Skisprung-Training der Damen und Herren bei der WM in Lahti abgesagt worden. Bei heftigen Windböen wurde die zweite Übungseinheit der Damen auf der kleinen Schanze am Mittwoch nach 18 Springerinnen abgebrochen. Heute ist die Qualifikation geplant, am Freitag sollen die Medaillen vergeben werden. Auch die Herren konnten nicht auf den Bakken. Die DSV-Springer absolvierten stattdessen ein Athletiktraining.

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